„Don’t judge a book by its cover“ lautet eine englische Floskel, die aber nicht nur auf Bücher, sondern manchmal auch auf Albumcover zutrifft. Im Falle von „Fast Side – Slow Side“ von MIDNIGHT SCRAPER ließ mich das auf der Front abgebildete Bandfoto auf eine typische L.A.-Glam-Rock/Haarspray-Band schließen, wobei mich bereits der rechts auf dem Boden kauernde Cowboyverschnitt stutzig hätte machen sollen. Wie dem auch sei, das Quintett hat mit Poser-Rock rein gar nix zu tun, sondern versteht sich mehr auf 60s/70s-Rock mit starkem Blues- und Southern-Einschlag. Das klingt erstmal sehr nach Amerika, tatsächlich stammen MIDNIGHT SCRAPER aber aus Schweden und dennoch würde es kaum verwundern, wenn die Truppe den amerikanischen Südstaaten entspringen würde.
Der Albumtitel ist übrigens programmatisch zu sehen: Die ersten sieben Songs stellen nämlich die „Fast Side“ dar, also mal mehr, mal weniger flott abgehende Rocker, während sich die fünf Songs umfassende „Slow Side“ mit etwas gesetzteren, teils recht melancholischen Noten auseinandersetzt. Erstaunlicherweise funktioniert diese Anordnung wunderbar und das Album wirkt zumindest nach meinem Empfinden trotzdem wie aus einem Guss, zumal sich qualitativ beide Parts nichts nehmen. „Fast Side – Slow Side“ ist im Grunde genommen die perfekte Scheibe für eine längere Autofahrt, denn trotz ihrer Kürze (knapp vierzig Minuten) kann man sich das Teil in Dauerschleife reinziehen und die versprühte Lockerheit sowie das nahezu durchgehende Good-Time-Feeling stecken mächtig an. Songwriting-technisch zieht die Band alle Register und gestaltet die Songs trotz aller Einfachheit sehr abwechslungsreich. Vor allem aber sind die Songs mit großartigen Refrains durchzogen, die den Hörer nicht so leicht loslassen. Bereits der smoothe und extrem eingängige Wohlfühlopener „Tears Stop Falling“ macht klar, worum es hier eigentlich geht. Wer sich hier gleich zuhause fühlt, darf sich auf den nicht minder hochklassigen Rest des Albums freuen. Darüber hinaus reichern die Jungs ihre Tracks mit Saxofonbegleitung an und das Sax fügt sich ebenso hervorragend ein, wie die häufige Hinzunahme von weiblichen Backgroundvocals oder die gelegentlichen Piano- bzw. Orgelparts. Bei einem Song wie „Sparkle Has Had Too Many Drinks“ kommen dann ganz besonders die Blueseinflüsse durch, wobei auch hier wieder auf das Saxofon zurückgegriffen wird. Herrlicher Track! Von der „Slow Side“-Seite überzeugen speziell das sehnsüchtige, wehmütige „It’s Wearing Me Down“, der coole Countryrocker „Eldorado“ sowie das mit einer Violine verstärkte Abschlussstück „All About Gambling“.
In den letzten Jahren erlebte der sog. Retro Rock durch Bands wie WOLFMOTHER, THE ANSWER und BLACK STONE CHERRY ja eine grandiose Wiederauferstehung, die BLACK CROWES haben auch wieder ein neues Album am Start und Kultbands wie LYNYRD SKYNYRD oder MOLLY HATCHET sind nach wie vor am Leben. Der Markt ist also durchaus da für eine Nischenband wie MIDNIGHTS SCRAPER und ihr vorzügliches „Fast Side – Slow Side“ hat es in jedem Fall verdient, die Aufmerksamkeit der Fans besagter Bands auf sich zu ziehen. Großartiges Album!
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