Michael Schenker - My Years With UFO

Review

Bei einem Namen wie MICHAEL SCHENKER stellt sich die Frage, wo man anfangen soll. Rein faktisch handelt es sich bei ihm tatsächlich um den ersten authentischen Rockstar, den Deutschland hervorgebracht hat. Wahrscheinlich stellt der Bruder von SCORPIONS-Boss Rudolf Schenker sogar die singulär hochbegabteste Person dar, die jemals eine Gitarre in die Hand genommen hat. Als wahres Wunderkind ist es ihm in den 70ern gelungen, nicht nur das Instrument als solches zu revolutionieren, sondern auch die komplette Musikwelt auf den Kopf zu stellen. Als Gründungsmitglied der SCORPIONS verließ er die Hannoveraner, um den Briten von UFO beizutreten. Obwohl er aufgrund seiner Herkunft verspottet und gemobbt wurde, trug er die ohne ihn eher mittelmäßigen Angelsachsen alleine auf seinen noch schmalen Schultern. Ist es ein Zufall, dass eine Band wie IRON MAIDEN einen Song wie „Doctor Doctor“ seit jeher als Intro für Live Shows verwendet? Ist es verwunderlich, dass jeder von VAN HALEN bis RANDY RHOADS, ZAKK WYLDE und SLASH (welcher auf dieser Scheibe gastiert) sich auf die Großtaten von UFO beruft? Oh, bevor wir es vergessen: Schenker hat all das in einem Alter erreicht, in dem die meisten von uns fast nur mit Pickeln beschäftigt waren. Er war nämlich noch Teenager.

Zum 50. Jubiläum seiner Zeit bei UFO liefert uns MICHAEL SCHENKER nun mit „My Years With UFO“ eine Compilation aus Re-recordings ebendieser dieser Ära.

Alte Kamellen von MICHAEL SCHENKER?

Der Name MICHAEL SCHENKER garantiert, dass er sich selber aussuchen darf, mit wem er spielen möchte. Es gibt in der Rock/Metal-Szene niemanden, der eine Zusammenarbeit mit dem Saarstedter ernsthaft abschlagen würde. Die Gästeliste dürfte für die meisten Leute schon Grund genug sein, um zumindest reinzuhören. SLASH und Axl von GUNS N’ ROSES tauchen neben Roger Glover von DEEP PURPLE sowie DEE SNIDER von TWISTED SISTER und vielen weiteren Legenden auf. Auch bei der Tracklist gibt es nichts zu meckern: Die Balance zwischen Hits und wenig beachteten Klassikern stimmt so weit. Apropos DEE SNIDER: Dieser macht einem unterbewerteten Song wie „Natural Things“ mit seiner gealterten und harscher gewordenen Stimme alle Ehre. Die schön fette Produktion von MICHAEL VOSS wird zwar modernen Standards gerecht, erstickt die klassischen Songs aber nicht mit digitalen Firlefanz.

Die meisten „alten Kamellen“ wirken in ihren neuen Gewand sehr frisch und wenig hüftsteif – mit Ausnahme von „Only You Can Rock Me“, welches von EUROPE-Frontmann Joey Tempest dargeboten wurde. Man merkt diesem Song einfach an, dass er Ende der 70er geschrieben wurde und deswegen ganz Kind seiner Zeit ist. Die Proto-Metal Atombombe „Mother Mary“ begeistert hingegen komplett: All die großen Helden der NWOBHM tragen die DNA dieses Songs in sich. Die Mitglieder von IRON MAIDEN, SAXON, DEF LEPPARD, ANGEL WITCH und DIAMOND HEAD haben sich hier anno 1975 ihre Notizen gemacht. Ex-SKID ROW Sänger Erik Grönwal klingt hier wie eine Art junger DIO und muss Schenker so sehr begeistert haben, dass er ihn als Frontmann für seine nächste Tour rekrutiert hat. Nicht schlecht, Herr Specht.

Der Test der Zeit

Die allermeisten die den Namen UFO kennen, werden sich allerdings fragen, wie sich „Doctor Doctor“ und „Rock Bottom“ nun in ihren neuen Versionen anhören. Bei „Doctor Doctor“ hat MICHAEL SCHENKER glücklicherweise von Experimenten abgesehen. Wir bekommen den Song (größtenteils) so zu hören, wie wir ihn kennen und lieben. RAINBOW/DEEP PURPLE/YNGWIE MALMSTEEN-Legende JOE LYNN TURNER kriegt die Chance, seine dreckige und rockige Seite aufblitzen zu lassen. Die genannten Künstler haben Turner nämlich nur engagiert, weil sie ihren Sound verpoppen und radiotauglich machen wollten. Schenker gibt dem sympathischen Amerikaner hingegen die Chance, einen echt rotzigen und „unperfekten“ Auftritt hinzulegen.

Moment. Was ist das? Dieses eine Riff… Dieser Sound, dem sich NIEMAND entziehen kann, der ernsthaft vorgibt, auf Rock/Metal zu stehen… Es ist „Rock Bottom“ ! Diese Compilation wäre ohne den besten UFO-Song natürlich nicht komplett. Der Fakt, dass Kai Hansen von HELLOWEEN/GAMMA RAY hier seine Vocals beisteuert, verwunderte die meisten allerdings bereits im Vorfeld. Der Hamburger ist eher für sein Gitarrenspiel und sein Songwriting bekannt. Seine Gesangsstimme klingt eigentlich wie die eines Gnoms, der zu viel Jägermeister intus hat. Für den klassischen Euro Power-Metal mag es passen, doch bei einem Rockklassiker? Wenn man sich den neuen Approach zu Gemüte führt, macht diese Besetzung allerdings schon Sinn. Da Schenker hier nicht im Korsett des LP-Formats arbeitet, hat er dem Song einen viel roheren Spin gegeben. Die ikonische Improvisation ist hier deutlich in die Länge gezogen, sodass der Song nun eine formidable Länge von über 11 Minuten aufweist. Die neue Aufnahme orientiert sich eben eher an der Live- als an der Studioversion.

Rock Bottom oder Too Hot To Handle?

Vor allem bei „Lights Out“ mit JEFF SCOTT SOTO springt der Funke wirklich über. Der Proto-Thrash und die Power des Gitarrenspiels verdeutlichen, dass es ohne Schenker keine Metalszene gegeben hätte. Doch warum ist er dann nicht genau so oder noch größer als die SCORPIONS geworden? Die gesamte Rockwelt verzehrte sich nämlich nach dem Jungen aus Saarstedt. Künstler wie THE ROLLING STONES, AEROSMITH, KISS, DEEP PURPLE, OZZY OSBOURNE, MOTÖRHEAD, PHIL LYNOTT und WHTESNAKE lagen Schenker zu Füßen und machten ihm Angebote, die kein normaler Mensch je abgelehnt hätte. Die Betonung liegt auf „Kein normaler Mensch“ – Der Deutsche hat den Ruf einer äußerst schwierigen Persönlichkeit bekommen und verbrannte so einige Brücken. Seine Songs mit UFO bleiben dennoch unberührbar.

Doch wie will man Songs bewerten, die jenseits jeglicher Kritik stehen und hervorragend dargeboten werden? Ob sich diese Compilation lohnt, hängt tatsächlich davon ab, ob man Re-recordings mag oder nicht.

05.10.2024

Werbetexter und Metalhead aus NRW.

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