Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.
Es vergehen erneut circa zwei Jahre, dann steht „Hanging In The Balance“ in den Plattenläden. Wie bei den beiden Vorgängern ist auch bei Album Nummer fünf der US-Metaller die Bandbesetzung stabil geblieben. Aber eine Veränderung gibt es dann doch: ein neues Label. Rising Sun Productions sorgen dafür, dass die Musik auf den Silberling kommt. In Deutschland erfolgt der Vertrieb über SPV.
Alles in Butter bei METAL CHURCH?
Es klingt, als wäre alles in Butter bei METAL CHURCH. Nach dem Album verabschiedet sich Mike Howe. Ein kurzes Zitat aus einem späteren Interview: „Ich verließ METAL CHURCH wegen des Managements, der Plattenfirma und des Drucks von außen, der METAL CHURCH in eine Position brachte, die mir nicht gefiel. Sie haben die Band für mich geschäftlich ruiniert. Kleine Beispiele wie das Plattencover von „Hanging In The Balance“, dass ich nicht guthieß und dass ich überhaupt nicht mochte.“
METAL CHURCH veröffentlichen eine Platte in einem Spannungsfeld, wo Sänger und Bandchef mit vielen Dingen unzufriedener werden. Der Anblick des Covers sorgt heutzutage für ein Schmunzeln. Für derartige Overstatements gibt es Anfang der 90er gerne vernichtende Kritiken. Ob die internen Spannungen auschlaggebend für den Rückschritt im Vergleich zu den beiden Vorgängern sind, wird sich heute nicht mehr aufklären lassen. METAL CHURCH hängen gefühlt zwischen den Stühlen und der Titel „Hanging In The Balance“ passt perfekt.
„Hanging In The Balance“ oder zwischen den Stühlen
Die ersten Töne zu „Gods Of Second Chance“ klingen nicht unbedingt nach METAL CHURCH. Es dauert circa 90 Sekunden, bis Howe zum Vorschein kommt, dann aber mit seinem Organ die Kurve bekommt und die Nummer rettet. Zur bekannten US-Metal-Stärke kehren die Herren mit „Losers In The Game“ zurück.
Spätestens bei „Hypnotized“ häufen sich die Fragezeichen. Wo sind die Rotzigkeit und Aggressivität geblieben? Im gefälligen Mid-Tempo wälzt sich das Ding vorwärts. Etwas mehr Dampf versprüht „No Friend Of Mine“, den „Waiting For A Savior“ zum Qualmen bringt. Das balladeske Akustikintro zieht sich aber zu sehr in die Länge, sodass Song fünf nicht in seiner Gänze überzeugen kann.
Nahezu gradlinig wird es mit „Conductor“. Howe keift etwas mehr und die Trademarks des Vorgängers kommen zum Vorschein. Die Trademarks von „Blessing In Disgusie“ liefert „Little Boy“ in mehr als acht Minuten. Das Stück greift den Faden von zum Beispiel „Badlands“ auf, wobei der kleine Junge auf „Hanging In The Balance“ etwas handzahm umherspringt. Das zu lange Interlude in der Mitte ist ein weiterer Minuspunkt. Trotzdem gehört das Ding zu den hervorstechenden Liedern der Platte.
Klassischer US-Metal („Down To The River“), eine balladesk verspielte, im Verlauf sich ständig steigernde Nummer („End Of The Age“) und das instrumentale, viel zu langatmige, akustische Interlude „Lovers And Madmen“ bringen „Hanging In The Balance“ in Richtung Ziellinie. Der Schlusspunkt „A Subtle War“ erinnert zum Start an „Unskinny Bob“ und POISON, sodass kaum mehr als Standardkost den Dreher beendet.
„Hanging In The Balance“ in der Retrospektive
Beim Vergleich der drei Werke von 1988 bis 1993 mit Mike Howe am Mikrofon schneidet das 93er Album am schwächsten ab. Es gibt einige richtig gute Nummern wie „Down To The River“, „Conductor“ oder „Little Boy“. Dazu gesellt sich Füllstoff („Lovers and Madmen“) und einige uninspirierte Tracks („Hypnotized“, „A Subtle War“). „Hanging In The Balance“ steht im Schatten von „The Human Factor“, ohne dass es als schwach oder schlecht abzutun wäre. Auch Album Nummer fünf aus dem Hause METAL CHURCH hat seine Momente, nur nicht so viele wie andere LPs.
Den Ausstieg vollzieht Mike Howe 1995 und mit ihm löst sich METAL CHURCH erstmalig auf. Howe dreht dem Musikgeschäft den Rücken zu und arbeitet in der Tischlerei seines Vaters. 2015, genau 20 Jahre später, kehrt Howe zu METAL CHURCH zurück. Es folgen die Alben XI (2016) und Damned If You Do (2018). Nach der 2019-Tour wird es musikalisch ruhig bezüglich der Pandemie. Am 26.Juli 2021 erhält die Metal-Welt die traurige Nachricht, dass Howe freiwillig die Bühne des Lebens geräumt hat. R.I.P. Mike Howe.
Ich kann einige der genannten Kritikpunkte durchaus nachvollziehen. Für mich hält die Platte aber dennoch locker das Niveau ihrer beiden Vorgänger. „Gods Of Second Chance“, „Losers In The Game“, „Little Boy“ oder „Down To The River“ gehören zu den besten Songs der Bandgeschichte. Abzüge gibt es lediglich für den etwas zu dünnen Sound.
Unterbewertetes Album, trotz Cringe-Cover und seltsamem Sound für mich im MC-Ranking Platz 2-4.