Das Schönste an den MELVINS ist eigentlich immer, dass sie jederzeit für heftige Überraschungen gut waren. Bei ihnen muss man sich stets auf so ziemlich alles gefasst machen, von ausgelassener Langeweile, schier unhörbaren, nervenzermürbenden Releases bis zum amtlichen Gehörsturz ist alles drin. Gut, in dieser Hinsicht enttäuscht „Nude With Boots“. Und das ist auch gut so. Nach ihrem entfernt an dem eigenen Klassiker „Houdini“ ausgerichteten letzten Werk „A Senile Animal“, wurde auch der neue Brocken aus demselben Granitblock gehauen, gerade nach vorne und den Siebzigern in die Hände, ganz die typische Osborne- und Crover-Schule eben. Keine Überraschung also, dafür spezieller Rock in gehobener Form.
Allein das schnarrende Riff der Eröffnung „The Kicking Machine“ zum Beispiel klingt wie eine niedergeschlagene Replik auf „Hooch“. Möglicherweise haben sie ihre alten Platten durchgehört und sind bei dem gemeinsamen Nenner SABBATH hängen geblieben? Wer geahnt hat, dass aus dem ereignisreichen Erfolgsrezept der Major-Alben noch mehr herauszuholen ist, kann sich nun bestätigt fühlen. Belege dafür finden sich zuhauf, wie das zugängliche „Billy Fish“ und vor allem das schleppende „Dog Island“. So geht brachialer Blues-Rock, freilich mit viel Staub und Schmutz im Gepäck, aber das wissen sie nicht erst seit dieser Platte. Mit „Dies Iraea“ schreckt ein Alp, das man eher auf einer SUNNO)))- oder BORIS-Platte vermutet hätte; der hyperventilierende Titeltrack und „The Smiling Cobra“ sind Metal, aber zu langsam, seltsam verkürzt und mit einem dreckigen Lachen im Gesicht. Metal, der Humor nicht nur zulässt, sondern ihn gleich kultiviert, nein, für sich bestimmt, ohne dabei jemals Parodie zu sein. Das gelingt nur den MELVINS.
Da pulsiert der Bass, noch mehr trümmern und hämmern die Drums, die Gitarre bäumt sich strotzend auf und fällt trübsinnig, gesungen wird nur dann wenn die Notwendigkeit besteht, dann aber zweistimmig. „Nude With Boots“ ist nach „A Senile Animal“ das zweite Album auf dem das BIG BUSINESS Jared Warren und Coady Willis – dem zweiten Schlagzeuger – mitwirken, zugleich rhythmustechnisch für mehr Dampf sorgen. Toshi Kasais sehr schlanke Produktion unterstreicht die trockene Nonchalance, die Naivität und die arschcoole Ironie der Band, fördert mehr zu Tage, sodass erst beim wiederholten Durchlauf nicht nur kleine Doppelbödigkeiten auffallen, auch das alte Grinsen stellt sich wieder ein.
Die MELVINS gehören ganz unzweifelhaft zu den glaubwürdigsten Rockbands unserer Zeit, und das obwohl sie es einem wirklich einfach machen, sie saudoof zu finden. Eine Platte wie „Colossus Of Destiny“ wäre für viele Bands der Ruin gewesen und auch der Rausschmeißer hier „It Tastes Better Than The Truth“ ist denn wieder nichts als grober Unsinn. Und kaum einer steht auf und tut seine Meinung kund, keiner wagt es auch nur sein Wort gegen die schwächeren – sagen wir willkürlicheren, denn hinter jeder Veröffentlichung steckt ein Kalkül – Alben zu erheben. Mag man die Band, weil sie sich jeglichen Stylingscherereien entgegen setzen? Oder weil sie sich – wenn überhaupt – ihre eigenen Trends setzen? Oder gar Angst vor King Buzzos Zorn hat? Die MELVINS sind ein Mythos, ein größeres Mysterium. Auch diesmal gibt es keine Antwort auf die Fragen, denn auf „Nude With Boots“ präsentieren sich die MELVINS wieder, wie man sich das als Fan immer vorgestellt hat.
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