Melvins - Chicken Switch

Review

Wenn die MELVINS remixen, oder vielmehr remixen lassen, wird verstanden, nicht verwurstet. Die beste Band der Welt zeigt sich auf „Chicken Switch“ in Zusammenarbeit mit Künstlern, die alle bereits auf eine ausführliche Lärmbiografie zurückblicken können. Für die Platte wurden – und das ist das geile – nicht einzelne Songs in ihre Einzelteile zerlegt und wieder zusammengesetzt, sondern jeweils ein ganzes Album. Jedem Künstler stand das Material eines gesamten Longplayers als nahezu unerschöpflicher Sound-, vielmehr: Rohstofffundus zur Verfügung, mit dem er machen konnte, was er wollte. Keine Vorgaben, alles ist erlaubt: Sympathy for the remix.

Die musikalische Programmatik gestaltet sich daher vielschichtig. Diese steht – soviel lässt sich allumfassend sagen – allerdings nicht für ein avantgardistisches Erweitern des Ausdrucksspektrums, sondern für Störungen, Kontingenzen, zusammenhangslose Steppen aus odds und ends bis hin zu Kommunikationskatastrophen. Außer Frage steht natürlich auch, dass ein MELVINS-Remix eine lärmige Angelegenheit ist, dass die typischen Klangextremismen der Noise Musik nicht fehlen dürfen. Neben der statischen Unerbittlichkeit rauschender Klangwände stößt man ebenso auf die obligatorischen Lo-Fi Recordings – schmutziges Audiomaterial, dessen miserable Aufnahmequalität wie eine verunreinigte Wunde unnachgiebig Eiter auszustoßen scheint (vergleiche Eye Yamatsukas „Washmachine Sk8tronics“). Wilde, unberechenbare Klangcollagen aus kreischenden Feedbacks, klirrend übersteuerten Metallschlagwerken und Einspielern aus Gesprächsfetzen und Umgebungsgeräuschen; verrückte rhythmische Konstruktionen und absurde Stimmungswechsel; mal brutzelndes, mal zart brummendes Brachland, in das hin und wieder, wie zufällig aufgefunden, ein bekannter Tune, ein Riff, gemischt wird.

Obwohl die meisten Stücke von einer konzeptuellen Simplizität durchdrungen sind, gehen die Künstler bei ihrer Neuinterpretation der MELVINS-Alben mit einer akribischen Genauigkeit ans Werk und präsentieren einen virtuosen Umgang mit Klangtexturen und ihrer psychoakustischen Tragweite. Besonders gelungen, ist der Track von Christoph Heemann. „Emperor Twaddle (Remix)“ setzt mit einem dreiminütigen Grollen ein, das auch als Einmarschmusik bei einem Wrestling-Match funktionieren könnte, räumt den Weg frei für ein Feuerwerk der Schlüsselreize. Eindrucksvoll, wenn auch typisch, zeigen Kawabata Makoto („4th Floor Hellcopter“) und MERZBOW („SNOW REM REM IBVZ“) ihre Vorliebe für minimalistische Seitenhiebe aus repetitiv pulsierenden Patterns, gepaart mit Großstadtdröhnen. Lee Ranaldo der SONIC YOUTH unterlegt die „Eggnog“-Platte mit einem Rhythmus, der sich auf kein metrisches Schema zurückführen lässt und zum Ende hin von plötzlichen Kakophonien unterbrochen wird. Hervorzuheben ist auch „Prick Concrète / Revolution M“ von David Scott Stone, der schon Teil der FANTÔMAS-MELVINS-BIG-BAND war. Der Track klingt nach einem heillosen, aber ungemein verlockenden Durcheinander aus harschen Industrialbeats und atonalen Dada-P-Funk-Versatzstücken.

Die Remixe sind in ihrer totalen crazyness über jede Kritik erhaben, die Originale ohnehin. Was hier buchstäblich aus den Trümmern des Metals und der elektrisch verstärkten Gitarre zusammengesetzt wird, eröffnet ganz neue Horizonte, die es zu entdecken gilt. Die Platte steht für das anarchische, beinahe perverse Selbstverständnis einer Band, die noch all ihre Nachahmer überleben wird – die MELVINS bleiben der rostige Nagel im blassen Fleisch einer zunehmend öden und gleichgeschalteten Musikwelt. Zugleich ist „Chicken Switch“ eine gelungene Dokumentation von verschiedenen Musikern, deren künstlerisches Schaffen aus der kontemporären experimentellen Musik nicht mehr wegzudenken ist.

21.11.2009
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