Megalith - Gipfelstürmer

Review

Durchaus hoch hinaus, in künstlerischer Sicht, möchten Carl Lang (alias Hyperion) und seine Kollegen mit MEGALITH. Dabei ist die Band in Hinsicht auf ihre Ansprüche und Ziele ziemlich genau der exakte Gegenentwurf zu AGATHODAIMONs Alben, an denen Hyperion als Gitarrist mitgewirkt hat und auf die er – weiß der Geier warum – heute noch referiert. Dabei hat der Mann eine mittlerweile im eigenen Gothicsaft schmorende, ehemalig gute Truppe als Referenz nicht nötig, denn MEGALITH schlägen AGATHODAIMON in allen Aspekten um einige Längen – leider auch in den schlechten.

Zugute halten muss man dieser Veröffentlichung zunächst die ambitionierte Verpackung: Ein 28-seitiges Booklet, das nicht nur alle Texte bietet, sondern auch mit nötigen (und unnötigen) Informationen, geistreichen Zitaten zu den einzelnen Stücken, illustrierenden Fotos, Erklärungen der literarischen Einflüsse und umfangreichen Credits Eindruck zu schinden versucht. Das ist gerade im Metalbereich wirklich ungewöhnlich und setzt sich bei der professionellen, druckvollen Produktion fort, die meinem Geschmack nach leider ein wenig kühl, trocken und steril geraten ist.

Einiges mehr gibt es zu entdecken, wenn man die eigentliche CD einlegt – 14 Tracks mit fast einer Stunde Spielzeit. Das Intro zum ersten Stück „Zukunftspläne“ sorgt zumindest bei mir zunächst für ein langes Gesicht, weil es den Hörer mit billigen Streichersounds der Kategorie „Neoklassik für Unwissende“ empfängt. Der Song selbst geht dann glücklicherweise OPHTALAMIA-artig rockend mit einem stampfenden Melodic-Black-Metal-Riff in die Vollen, was durchaus nicht ganz untypisch für das Album ist. Auch textlich kündigt Hyperion Programmatisches an: Bösartige Provokation und Kritik an den Missständen der Gesellschaft, gekleidet in ein intellektuelles, durchaus poetisches Gewand und leider gefärbt von politischen Absichten.

Die folgenden Stücke sind mehr oder minder eine Berg- und Talfahrt durch schwedisch erscheinenden Black/Death-Metal der 90er Jahre („Gipfelstürmer“) mit durchscheinenden AGATHODAIMON-Parallelen, effektives RAMMSTEIN-Riffing mit Gothic-Metal-Schlagseite und DIMMU-BORGIR-Keyboards („Deutsches Herz“, „Die Geier“ oder „Schämst du dich nicht?“), durchaus proggige Elemente („Der einsame Jäger“), klassisch rockige Licks und Soli („Wir lieben den Tod“) und immer wieder Versuche, Elemente aus dem Neofolk- und Neoklassik-Genre einzubinden. Meiner Ansicht nach geht dieser Versuch zum größten Teil daneben, weil es einfach an der kompositorischen Umsetzung mangelt. Metalsongs zu schreiben ist einfach eine andere Disziplin (die MEGALITH durchaus in jeder Hinsicht beherrschen!), als einen Streichersatz oder ein Pianostück nicht nur zu programmieren oder auf dem Keyboard zu spielen, sondern richtig zu arrangieren und mit einem würdigen Sound zu versehen. Besser gelungen ist in jedem Fall das Einbeziehen der Akustikgitarre, die zudem einen sehr eigenwilligen und interessanten Klang hat („Wir lieben den Tod“). Rein musikalisch sind die Höhepunkte meines Erachtens nach mit dem Übergang zur zweiten Hälfte des Albums ausgeschöpft. Danach folgen bestenfalls gutartige Songs, die sich aber entweder wiederholen oder relativ blass bleiben und dabei trotzdem noch gelungener erscheinen als das, was AGATHODAIMON in den letzten Jahren geleistet haben. Musikalisch reißen aber gerade die ersten sechs Tracks das Album aus dem Mittelmaßsumpf.

Was an „Gipfelstürmer“ auffällt ist, dass die Texte des Albums der Musik mindestens ebenbürtig sind. Auch hier ist allerdings beileibe nicht alles gelungen. Das verschmitzte und sprachlich gewitzte „Zukunftspläne“ ist dabei ein Positivbeispiel, ähnlich wie das überaus kafkaeske oder döblinsche „Der einsame Jäger“, das einer der schönsten Texte über gesellschaftliche Kälte und den Wunsch nach Akzeptanz und Geborgenheit ist, den ich auf einer Metalplatte je gelesen habe – und das ganz ohne Postrock. In anderen Stücken prangert Hyperion, was ich immerhin noch verständlich finde, die Scheinmoral und das scheinheilige Unterdrücken animalischer Instinkte an und preist die Einzelkämpfermentalität („Gipfelstürmer“), übt in bester Tradition von Ernst Jünger böse metaphorische Kritik an einer deutschen Pseudodemokratie („Die Geier“) oder stellt sich als visionärer gesellschaftlicher Quertreiber in „Das Tor“ selbst ins Abseits. So weit, so gut.

Kitschig und meinem Geschmack nach zu politisch verwirrt wird es, wenn Hyperion in „Deutsches Herz“ eine „typisch deutsche“ Träumerei und Schöngeisterei als Quelle von Inaktivität und politischer Lähmung ausgemacht haben will. Das mag im Andenken an Heinrich Heine geschrieben worden sein, wäre aber sicherlich wenig in seinem Sinne gewesen – die Zeiten haben sich seit 1848 nämlich geändert. Wer Freigeistigkeit propagiert und in einer Band spielt, die in Ländern des nahen Ostens ein Auftrittsverbot sicher hätte, sollte sich dessen bewusst sein.
Verwirrt wirkt auch „Wir lieben den Tod“, ein offenbar USA- und Israel-feindliches Stück politischen Textes aus Sicht des aufständischen Irans zu Zeiten von Ayatollah Chomeini. Das passt höchstens deshalb in den Kontext, weil sich dieses Regime gegen die vermeindliche Unterdrückung aktiv zur Wehr gesetzt hat – dass damit indirekt auch tausende von Hinrichtungen politischer Gegner positiv konnotiert werden, finde ich wenig akzeptabel. Mit den Unerfreulichkeiten geht es in „Eines Tages“ gleich weiter: Hier haben wir es mit einem Rundumschlag gegen paritätische gesellschaftliche Aktivität zu tun, die Hyperion offenbar als scheinheilig einstuft und sich lieber als Mann der unbequemen Meinung sieht. Was gegen Pro-Asyl und den „Multi-Kulti-Kindergarten-Förderungs-Verein“ einzuwenden sein soll, erschließt sich mir allerdings ganz und gar nicht. Ganz offen gesagt sind mir Menschen, die hinter allem ein gesellschatliches Zwangsdiktat vermuten, auch einfach unsympathisch.
Neofolkig-kitschig wird’s dann in „Ein Traum von Ende und Anfang“, das vor revolutionärem, idealisierendem Kriegspathos geradezu trieft. Zum Kotzen. Ähnlich unhörbar sind „Aufbruch in die dunkle Nacht“ und dessen englische Akustikversion „Trail Of Tears“. Was die erschreckend peinliche Coversion von MOTÖRHEADs „March Ör Die“ auf diesem Album zu suchen hat, werde ich ebenfalls nie verstehen. Ganz dicke Minuspunkte auf einer bis dahin hörbaren Platte.

„Gipfelstürmer“ ist ein Album, mit dem man sich außergewöhnlich lange beschäftigen kann – wie man auch an diesem Text erkennen kann. Das ist es, was MEGALITH auch erreichen wollten, und so gesehen haben sie ihre Sache gut gemacht. Tatsache ist, dass wir es mit einer Band zu tun haben, die musikalisch durchaus einiges auf dem Kasten hat. Textlich ist das Talent sogar weitaus größer – mein Eindruck geht so weit, dass mir einige Stücke wie krampfhaft vertone Lyrik erscheinen, wo Gesang und Musik nicht zwingend zueinander passen. Mein Wunsch wäre, dass MEGALITH, und allen voran Hyperion, ihre unbestreitbar intelligente Nase ein Stück tiefer nehmen und das permanente Wittern von gesellschaftlichen und politischen Hinterhalten etwas zurückfahren. Es ist schade, dass eine so begabte Band ihr Talent in den Dienst eines übertriebenen Konglomerats aus fragwürdiger politischer Aktivität und albernem literarischen Elitedenken stellt. Sicher ist nicht alles, wie es scheint, aber die Welt ist auch nicht ausschließlich schlecht und immer so gut, wie man sie sich selbst denkt. Ich finde, auch diese Platte ist nur so gut, wie man sie sich selbst macht.

20.10.2008

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