Mechanical Poet - Woodland Prattlers
Review
Soundtracks zu nicht real existierenden Filmen sind ja nichts Neues mehr, nicht einmal in der Metal-Szene. MECHANICAL POET aus Moskau haben dieses Konzept quasi umgedreht: es gibt gar keinen Film, aber die Platte klingt streckenweise trotzdem wie der Soundtrack zu einem „Nightmare before Christmas“-Nachfolger, und sieht vor allem tatsächlich aus wie die Verpackung zur Zeichentrick-Verfilmung eines Harry-Potter-Bandes. Die gesamte Atmosphäre und Ästhetik orientiert sich daran, bewusst oder zufällig, mit einem eigens mit viel Detailliebe gezeichneten Comic-Booklet, in dem sich die Kobolde, Waldgeister, Feuerdämonen, Hexen auf Besen, Zombies, Harpien und Elfen nur so tummeln. Da berichtet dann schon mal ein Poltergeist in Rente sentimental, wie fantastisch er zu seinen Glanzzeiten Paare in flagranti verschreckt hat, Ronia Räubertochters Geburt wird nacherzählt, ein kleiner Zombie ist traurig, weil er sich im Wald verlaufen hat, zwei Trolle balgen sich um eine Münze und der Weihnachtsmann fühlt sich zwischen Heiligabend und Silvester ziemlich nutzlos. Das sieht auf den ersten Blick alles ziemlich albern aus, aber die in sehr gewähltem Englisch verfassten Texten haben eine sehr persönliche, nachdenkliche und melancholische Note, die gut versteckt, aber mit ein bisschen Beschäftigung gut zu entdecken ist. Noch besser versteckt ist die Ironie in ihnen, aber darüber werde ich nichts verraten. 😉
Musikalisch ist die Platte absolut nicht klar einzuordnen. Nach den „Main Titles“, einem rein orchestral gehaltenen Intro, stampft „Stormchild“ volle Kalotte los und erinnert auffällig an FEAR FACTORY und „Demanufacture“. Das folgende „Bogie in a coal-hole“ ist, wie der überwiegende Teil des Albums, moderner, rhythmusorientiert gespielter (progressiver?) Heavy Metal mit donnernden Gitarren und einer überaus wandlungsfähigen, einfühlsamen Stimme, die sehr oft an das Organ von RHAPSODYs Frontmann erinnert. RHAPSODY ist überhaupt ein gutes Stichwort, denn die griffigen Melodien und kitschigen Orchester-, Cembalo- oder Chor- Fantasyparts der Italiener haben MECHANICAL POET ebenfalls hörbar beeinflusst. Darüber hinaus haben die drei Russen ein Faible für balladeske Stimmungen, das sie meisterhaft in einigen Zwischenparts und vor allem in dem rührend schönen „Sirens from the underland“ mit seinem mehrstimmigem Gesang verarbeitet haben. Jedes Stück trotzt vor perfektionistisch ausgearbeiteten Details: einwandfrei gespielte Gitarrensoli, kleine Gegenstimmen, kaum merkliche windige Synthesizeruntermalungen, pfiffige Taktwechsel oder unkonventionelle Soundeffekte, von stets in jedem Stück individuellen Arrangements ganz abgesehen. Das ist heutzutage leider alles andere als eine Selbstverständlichkeit und zeigt eine Musikverliebtheit, die Künstler bei Aural Music/code666 schon immer an den Tag gelegt haben. Schön, dass es das noch gibt!
Die außerordentlich gute, sehr druckvolle und dabei stets transparente Produktion macht die Entdeckungsreise leicht, und glücklicherweise sind sogar die (natürlich gesampelten) Orchesterklangfarben von einer solchen Güte, dass sie niemals negativ auffallen. Dass die Platte nicht noch mehr Punkte bei mir abräumt liegt einfach daran, dass sie hier und da ihre Längen und der eine oder andere Metal-Part ein bisschen stereotypen Charakter hat. Das mag allerdings nur meine Empfindung sein und auch drin begründet liegen, dass mein bevorzugter Musikstil eben doch ein anderer ist. Außerdem gibt es ja noch ein nächstes Mal.
Nichtsdestotrotz: ein derart variables Debütalbum wie dieses, das mühelos jeden internationalen Standard hält und viele etablierte westeuropäische oder amerikanische Kollegen blamiert, muss man den dreien erst mal nachmachen.