Mayhem - Esoteric Warfare

Review

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Dunkelheit. Schon der Opener zerrt einen hinein. Hypnotische Gitarrenklänge, eine lauter werdende Doublebass, die dem Einstieg in Kombination mit dem ebenso ansteigenden Riff einen irgendwie pulsierenden Charakter verleiht. Eins vorweg: Ich habe mir das neue MAYHEM-Album mehrfach und in verschiedenen Situationen einverleibt. Unter freiem Himmel und auf der heimischen Couch. Beiläufig und konzentriert. Morgens, mittags, abends. Die Bedrohlichkeit, die von den neuen Stücken ausgeht und transportiert wird, wirkte sofort wie ein Bann. Auf diese Weise hat das Material nach einem ersten guten Eindruck schnell eine hohe Qualität erreicht und ist nach mehrmaligem Hören auf dieser Ebene stagniert. „Esoteric Warfare“ ist kein Meisterwerk und keine „De Mysteriis Dom Sathanas“-Rückbesinnung. Trotz der lexikalischen Abnutzung muss ich es so formulieren. In seiner Konsequenz ist das Album vielleicht genau das, was MAYHEM erreichen wollen: ein Manifest der Dunkelheit.

Im Jahr des 30-jährigen Bandbestehens präsentieren MAYHEM ihr fünftes Studioalbum – auch eine Form von Stringenz. Da kann man durchaus mal einen Blick nach hinten werfen, in dem Fall chronologisch rückwärts, weil dann am Ende noch immer das beste Album der Norweger steht. „Ordo Ad Chao“ (2007) ist so etwas wie „Revelations Of The Black Flame“ von 1349: vertonter Irrsinn, der mehr Wert auf Atmosphäre als auf Musik legt und eher künstlerischen als unterhaltenden Charakter hat – von einigen gemocht, von vielen kritisiert. „Chimera“ (2004) ist nach dem Debüt wohl das eingängigste, „Grand Declaration Of War“ (2000) das experimentellste, mutigste und auf gewisse Weise frechste Werk. Mit „De Mysteriis Dom Sathanas“ (1994) haben MAYHEM einen Klassiker eingespielt, der seinen Status der hervorragenden Musik, aber auch der umwobenen Zeit an sich verdankt. Wo reiht sich „Esoteric Warfare“ ein? Eine Verortung zwischen „Chimera“ und „Ordo Ad Chao“ erscheint sinnvoll, jedoch mit deutlicher Tendenz hin zur letzten Veröffentlichung. Angesichts des Backkatalogs wäre es schon wieder originell gewesen, wären sie zurück zum traditionellen Black Metal gekehrt. Andererseits: Wie könnte man besser provozieren als mit einem Album, das letztlich doch sehr dicht am oft kritisierten Vorgänger ist?

Morten „Teloch“ Iversen, der neue Mann, der als Ersatz für den 2008 von Bord gegangenen Blasphemer die Axt streichelt, hat ohrenhörlich nicht nur einmal in „Ordo Ad Chao“ reingelauscht. In Genre-Kreisen, wenn man MAYHEM noch zum Black Metal zählt, ist Teloch als Gründer der Band NIDINGR bekannt, des Weiteren als Live-Gitarrist bei 1349 und GORGOROTH. Warum dieser Exkurs in Richtung des Neulings? Weil der Mann die Songs fürs neue Werk geschrieben hat – erst ein paar Riffs, die dann im Pulk präsentiert und zunächst in Co-Arbeit mit Hellhammer im Studio getestet wurden, danach mehr.

Das Ergebnis überrascht als eine wesentlich zugängigere Sammlung von Songs, die so wiederum nur im MAYHEM’schen Kosmos entstehen. Wer davon ausgeht, dass Rhythmik und Melodik zur Musik dazugehören, wird von der schier niederdrückenden Dissonanz der neuen Stücke trotzdem schnurgerade ins musikalische Jenseits geschleudert. Eingängiger bedeutet schlichtweg, dass der Zugang zum Material leichter ist als noch beim Vorgänger. Weil sich die Lieder im richtigen Moment aus dem atmosphärischen Treibsand befreien, um doch wieder an die Oberfläche, an der die Musik spielt, zurückzukehren. Dabei sind es gerade die Downtempo-Quälereien, die „Esoteric Warfare“ zum bedrückendsten Album in der Bandgeschichte machen. Geradezu verstörend, wie hier durch instrumentale Mittel Löcher in den Alltag geritzt werden, durch die eine Schwärze fließt, die wahrlich nichts mehr mit rein musikalischem Entertainment zu tun hat. „Esoteric Warfare“ ist düster, ist eigenständig, ist Kunst. Songstrukturell beschreitet man dabei zwar den eingeschlagenen Weg, aber das ist nun mal die Art Musik, die MAYHEM erfinden. Genretypisch klingt hier nichts, nur machen sie es diesmal um ein Vielfaches besser. Einzelne Elemente nehmen sich entweder exakt im richtigen Moment zurück, um den Fokus auf einem bestimmten Instrument zu lassen, oder sie gehen eine Symbiose ein. Interessant, wie Gitarrenklänge, die andere Bands eher für ruhige, gar schöne, irgendwie sphärische oder epische Passagen verwenden würden, dadurch umgekehrt und zu etwas immens Bedrohlichem werden. Die Drums sind vielfältig as fuck, die extremen Tempowechsel fordern; bis hin zu kargen Momenten, in denen nur vertonte Feinheiten aufblitzen. Die Ruhe vor dem Sturm, den MAYHEM dann eine Sekunde später durch eindringliche Oldschool-Rumpelei entfachen. Wahnsinn. Dazu die Palette an Tönen, die Attila so aus seinen Stimmbändern schält. Auch wenn er phasenweise wie ein sterbender exotischer Vogel klingt oder wie die Toten im japanischen Horrorfilm „Ju-On“ gurgelt, in Sachen Unmenschlichkeit, Obskurität und Bösartigkeit finden sich seine Vocals ebenso auf der originellen, auf der kunstvollen Ebene wieder.

Mit „Esoteric Warfare“ hinterlassen MAYHEM mächtig Eindruck. Wer hätte schon erwartet, dass sie plötzlich ihr bestes Album nach „De Mysteriis Dom Sathanas“ produzieren. Apropos: Die Produktion geht deutliche Schritte rückwärts und passt durch die Underground-Attitüde tadellos zu den Songs und der Stimmung an sich. Noch erfreulicher ist die Tatsache, dass die Band ganz allgemein mit dem Vergangenen kokettiert (ohne sich zu wiederholen). Auf eine gewisse Art und Weise ist das alles Black Metal in Reinkultur, auf viel zentralere Weise aber vor allem MAYHEM in Reinkultur. Und so gibt es aufgrund von Definition und Manifestation eines eigenen Stils den Extrapunkt, der letztlich acht bedeutet. Ja, eine Kaufempfehlung, wenn auch mit Abstrichen, denn man muss mit dem, was MAYHEM musikalisch entstehen lassen, erst mal ebenso klarkommen wie mit allem, was sie als Individuen und als Band getan und gesagt haben und tun und sagen werden. Dunkelheit.

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31.05.2014

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1 Kommentar zu Mayhem - Esoteric Warfare

  1. xXx-Oimel-xXx sagt:

    Ein neues MAYHEM Album ist wie eine Wundertüte-man weiß nie was drinnen ist. „Ordo Ad Chao“ sagt mir nach wie vor nicht zu & „Esoteric Warfare“ wurde damals blind vorbestellt. Es ist mal wieder ein gewaltiger & schwerverdaulicher Brocken geworden. Wilde Raserei mündet in ein doomiges Intermezzo & umgekehrt. Nüchtern betrachtet könnte man sagen, dass „Esoteric Warfare“ der perfekte Soundtrack für Hobbypsychopathen wäre. Für alle anderen ist es ein abartiges, aber schrecklich-schönes, Stück Musik.

    8/10