
Man stelle sich vor, man sitzt als Millennial mitten in der Midlife Crisis steckend irgendwo in einer gemütlichen, schummrigen Kneipe herum, welche die Lieblingsmusik aus der Adoleszens spielt und in alten Zeiten schwelgen lässt. Man lacht in das eigene Glas hinein darüber, dass man das wurde, was man früher in der rebellischen Jugend nie sein wollte. Irgendwo in der Ecke sitzt ein älterer, glatzköpfiger Typ mit Allerweltsgesicht, seine Augen ebenfalls ans Glas geheftet. Mit jedem Blick, den man dem kuriosen Herrn schenkt, scheint er ein Stück näher zu rücken, bis er nach etlichen Blicken schließlich zum Thekennachbar geworden ist. Nicht unbedingt ein Creep, sondern einfach nur eine weitere Seele auf Wanderschaft in der Nacht und auf der Suche nach Gesellschaft. Plötzlich – der Stoff hat seine Zunge gelockert – beginnt er, Schwänke über das Leben zu erzählen. Das alles ist das Gefühl, welches das MASTERS OF REALITY-Comeback „The Archer“ vermittelt.
16 Jahre hat Goss seine Hörerschaft warten lassen
Chris Goss hat sich also nach langer Zeit, im Grunde seit Veröffentlichung von „Pine/Cross Dover“ anno 2009, aufgerafft und seine musikalischen Aktivitäten endlich wieder auf Silber gebannt. Das neue Album hat der Produzententausendsassa mit seinem 2024er Live-Lineup bestehend aus dem Gitarristen Alain Johannes, dem Schlagzeuger John Leamy und dem Bassisten Paul Powell eingespielt. Das Ding klingt aber wenig überraschend nach Chris Goss und nach wenig anderem. Und doch, trotz Goss‘ eigenartigem, irgendwie zwischen leicht apathisch und milde animiert schwankenden Gesangsstil, einer ähnlich breiten, stilistischen Aufstellung und dieser eigentümlichen Atmosphäre wählt „The Archer“ einen anderen, subtileren Weg als „Pine/Cross Dover“.
Es ist ein bisschen mehr Blues, ein bisschen mehr Psychedelic Rock, ein bisschen weniger Alternative und dafür ein bisschen mehr Indie, ein bisschen Folk und möglicherweise sogar ein bisschen Beat involviert. Oder zumindest klingt der klavierbehangene Abschluss von „Barstow“ nach etwas, was sich die britischen Pilzköpfe sicher aus den Ärmeln geschüttelt hätten. Um auf die eingangs versuchte Metapher zurück zu kommen bringt „The Archer“ einiges an relevanten Rock-Trends aus der Zeit um die Jahrtausendwende herum ins Jahr 2025 und zeigt, dass dieser Krempel allmählich auch schon als „Retro“ durchgeht, während andere, zeitlosere Einflüsse wie PINK FLOYD und eben die BEATLES ebenfalls mitmixen.
Das neue MASTERS OF REALITY-Album bietet ein facettenreiches Klangbild
Goss‘ Qualität als Geschichtenerzähler brilliert natürlich vor diesem atmosphärischen Backdrop. Seine meist eher gedämpfte Darbietung wird regelmäßig durch seine aufgeweckteren Linien kontrastiert, die dadurch umso kathartischer herüber kommen. Ein Musterbeispiel hierfür ist das in seinen ruhigen Momenten leicht orientalisch und mystisch angehauchte, in der Hook förmlich und – wichtiger: vollkommen organisch zu einem regelrechten ROLLING STONES-Hit mutierende „It All Comes Back To You“. Auf der anderen Seite des Spektrums ist ein Slow Burn der Marke „Chicken Little“, das sich hypnotisch wie Nebelschwaden aus den Boxen arbeitet mit seinen Blues-infundierten FLOYD-Vibes, die in einem mitreißenden Gitarrensolo gipfeln.
Und die Trackliste ist sehr facettenreich ausgefallen, kaum Wiederholungen und kaum Momente der Glanzlosigkeit. Die effektschwangere Gitarrenarbeit, die oftmals mehr Ornamentik als Axt im Wald darstellt, leistet einen hervorragenden Job, die kuriose Stimmung von „The Archer“ dicht und texturiert zu halten, vom verkaterten Titeltrack, der das Album eröffnet, über den durch einen wunderbar lebhaften Bass dominierten Kopfnicker „I Had A Dream“ und dem sinister vor sich hin tänzelnden „Mr. Tap N‘ Go“ hin zum irgendwie auf sarkastische Weise munter klingenden Rausschmeißer „Bible Head“ ist „The Archer“ ein abwechslungsreicher Trip voller Geschichten, die das Leben erzählt, dargeboten durch ein Sprachrohr, das sich wenig aus Theatralik und mehr aus Wirkungsorientierung macht.
Dabei geht es auf „The Archer“ wenig überraschend weniger um Theatralik und mehr um Wirkungsorientierung
Umso effektiver sind die traditionellen Kniffe wie Backing Vocals für die Harmoniebegleitung beispielsweise in „I Had A Dream“, die sparsam aber eben effizient eingesetzt werden. Dieses Album muss natürlich wachsen und das tut es auch mit jedem Hördurchlauf. Aber die Geduld muss auf Empfängerseite natürlich mitgebracht werden, wobei ein guter Eintrittspunkt das für MASTERS OF REALITY-Verhältnisse explosive „It All Comes Back To You“ darstellen dürfte. Aber vermutlich genießt sich „The Archer“ am Stück mit einem guten Scotch Abends im Sessel sitzend am besten, vor allem mit einer guten Soundanlage oder guten Kopfhörern, um den warmen, transparenten Sound in vollem Umfang genießen zu können. So geht ein Comeback!
Damned wenn ich die Masters of Reality höre wird mir immer ganz kuschelig warm ums Herz. Ich liebe die seit dem Sunrise Album. Hach, schwelg…😍
Sorry, btw sehr schöne Kritik!