Zwei Jahre nach „Eat Me, Drink Me“ und eine Frau später war es bei MARILYN MANSON offenbar Zeit für tabula rasa. Hinaus aus dem Wunderland und der bitteren Realität ins Auge geschaut. Dass Jeordie White alias Twiggy Ramirez nach zehn Jahren Auszeit wieder Teil der Band sein sollte, beflügelte Anfang des vergangenen Jahres die Fantasie und Erwartungshaltung der Fans weltweit, vielleicht ein bißchen über Maß.
Die Ende März als Download veröffentlichte Vorab-Single „We’re From America“ schien dies zu bestätigen, und doch war sie ein interessanter Zug. In einem Interview meinte Manson einmal, er habe sein Feuer wieder gefunden, und irgendwie ist ihm damit die größte Überraschung gelungen. Das einfach gehaltene Cover strahlt die Reduziertheit aus, von der das Album zu großen Teilen lebt – lieber drei richtig gute Ideen, als ein Dutzend schlechte.
Whites Rückkehr ist unüberhörbar, das Album atmet Rock und Blues in jeder Minute, und diese Gitarren und Bässe, fast hätte man sie schon vermisst. Mit jedem Album wird unter Fans eine neue „Manson-Ära“ aufgemacht, und teilweise traf das noch bis vor ein paar Jahren zu. Neuer Look, neuer Sound, doch der Innovationsmotor dreht sich längst nicht mehr so schnell bei Manson. Erstaunlicherweise schafft es „The High End Of Low“ mehr als jedes andere Album zuvor, die unterschiedlichen Einflüsse und Aspekte aus fast 20 Jahren MARILYN MANSON zu bündeln. Das mag manch einer als Selbstbedienung am eigenen Inventar betrachten, doch das Dreiergespann um Manson, White und Chris Vrenna besinnt sich auf die Stärken des Manson-Sounds und vor allem darauf, richtig gute Songs zu schreiben. Kein Zwang, unbedingtes Hitpotential sofort zu entfalten, sondern echte Tiefe, die trotzdem hitverdächtig bleibt.
Vor allem Fans der jüngeren Generation werden sicherlich überrascht sein, positiv wie negativ. „The High End Of Low“ wächst, mit jedem Song. „We’re From America“ entpuppt sich nach dem ersten Schauer im Kontext des Albums als einer der stärksten Songs, „Arma-Goddamn-Motherfuckin-Geddon“ will nicht schocken, sondern Glam-rockt wie auf „Mechanical Animals“, Twiggys unverkennbare Handschrift lauert in der Blues- und Stoner-angehauchten Ballade „Four Rusted Horses“ und dem fast schon epischen „I Want To Kill You Like They Do In The Movies“. Mit „15“ gelingt Manson abermals das Kunststück, einen großartigen Schlußtitel hinzulegen, spätestens hier müssten sich alle Überreste von Skepsis in Wohlgefallen aufgelöst haben.
Nicht wenige haben einen Schocker oder eine Hitfabrik wie „Antichrist Superstar“ oder „Mechanical Animals“ erwartet, ein Album welches mit Leichtigkeit Livegranaten und Klassiker ausspuckt. Dabei hat uns Manson lediglich ein großartiges Album versprochen – nicht mehr und nicht weniger. Er hat sie alle überrascht, wenn auch er nicht alle überzeugen wird.
Ein Song auf „Eat Me, Drink Me“ heißt „Just A Car Crash Away“. „The High End Of Low“ ist der große Knall, das Ende und der Anfang – und ein Album, was MARILYN MANSON verdammt gut zu Gesicht steht.
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Das Album erscheint neben der regulären Variante auch als Deluxe Edition.
Sehr feines facettenreiches Album. Hätte ich nicht erwartet. Pop der düsteren Art OHNE endloses Geschleime, Riffgeschiebe, Schwimmen im Strom, Gemeinschaftsgeschrammel. Wird ein Hitalbum. Im zweiten Teil gibt es interessante Experimente. Und als Japan-Bonus äußerst gut gelungene Alternativ-Versionen einiger Songs in akustischem Gewand.
Gefällt mir deutlich besser als der Vorgänger, der ja relativ schwermütig war. Klar, an seine besten Jahre kann/können MM nicht mehr anknüpfen doch mit „The High End Of Low“ befindet man sich auf den richtigen Weg. Ob der Weg richtig war kann ich nicht beurteilen, da ich „Born Villain“ noch nicht gehört habe.
Ein recht überraschendes Werk…