Magnum - On A Storyteller's Night

Review

Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.

Galerie mit 24 Bildern: Magnum - Rock Hard Festival 2019

1985 sah es alles in allem ziemlich schlecht aus für die britischen Pomp Rocker MAGNUM. Nach dem Achtungserfolg von “Chase The Dragon” (1982) konnte der Nachfolger “The Eleventh Hour” musikalisch und kommerziell nicht ganz daran anknüpfen. Entsprechend niedrig waren die Erwartungen der zeitgenössischen Fachpresse und insbesondere des Labels Jet Records, die MAGNUM prompt aus ihrem Stall entfernen. Desillusioniert packt Keyboarder Mark Stanway seine Sachen und schließt sich Phil Lynotts Projekt GRAND SLAM an. Selbst Sänger Bob Catley sucht sich in dieser unsicheren Zeit nach neuen Engagements um und wäre beinahe bei Ritchie Blackmores Band RAINBOW gelandet. Doch Chefkomponist, Texter, Gitarrist und allgemeiner Kapitän im Hause MAGNUM, Tony Clarkin, lässt sich nicht leicht unterkriegen, und trommelt Stanway und Catley schnell wieder zusammen, um im Mai 1985 “On A Storyteller’s Night” zu veröffentlichen. Selbstverständlich mit einem neuen Plattendeal, diesmal bei FM Records, in der Tasche.

Der Durchbruch für MAGNUM

Es verwundert nicht, dass “On A Storyteller’s Night” auch Tony Clarkins persönliches Lieblingsalbum von MAGNUM ist. Nach der Verkaufsenttäuschung “The Eleventh Hour” (1983) hätte wahrscheinlich niemand damit gerechnet, dass “On A Storyteller’s Night” das für eh und je erfolgreichste Album in der Diskografie der Birminghamer Institution ist. Wahrscheinlich war Clarkin während des Songwritings nur umso motivierter, denn der Erfolg des Albums ist nicht nur dem dritten großartigen Rodney-Matthews-Artwork in Folge zu verdanken, sondern vor allem den unglaublich starken Songs.

Bei diesen haben MAGNUM nicht zum ersten Mal bewiesen, dass ihnen an hochwertigen Kompositionen und dem Album als Gesamtkunstwerk mehr liegt als an schnellen Single-Erfolgen mit stumpfsinnigen Cock-Rock-Texten. Bereits mit den ersten Sekunden des im wörtlichen Sinne fantastischen Openers “How Far Jerusalem” entfacht sich ein mystischer Zauber, dem man sich in den folgenden 40 Minuten nicht mehr entziehen kann. “They are the victims of the night, ride against the wind, born to lose the fight” – es ist, als würde Jim Steinman den Score zu einer Charles-Dickens-Verfilmung von Tim Burton schreiben. Aus diesem auf Vinyl gepressten Eskapismus möchte man nie wieder erwachen.

Mystische Atmosphäre und märchenhafte Geschichten

Aus dieser Trance reißt einen noch nicht mal der an zweiter Stelle platzierte, wesentlich kommerziellere Evergreen “Just Like An Arrow”. Auch wenn das kurze Stück wesentlich mehr an eine Band wie JOURNEY erinnert, schaffen Clarkins schwärmerische Melodien und Catleys warme, herzerweichende Stimme es, auch diesem Song enormen Tiefgang zu geben. Wie schon im Opener trägt Mark Stanways Talent für voluminöse und fantasievolle Keyboardsounds den Stil der Band erheblich mit. Atmosphärische Ambientflächen, fragiles Piano oder dicke Stadionsynthies – es ist schon ein wenig Schade, dass die Liaison mit ihm nach mehr als dreißig gemeinsamen Jahren im Jahr 2016 so unrühmlich enden musste.

Der Titelsong an dritter Stelle mit seinem unvergesslichen Chorus (“Keep your night light burning…”) erweckt dann die Figuren auf dem Cover zum Leben und beweist, wie gut Titel, Musik und Artwork hier harmonieren, während “Before First Light” ein an die SCORPIONS erinnernder, straight schiebender Riff-Rocker ist. Den wichtigsten Song des Albums und einen der unverzichtbarsten Live-Standards im Schaffen von MAGNUM überhaupt haben sie sich aber für den Schluss der A-Seite aufgespart. “Les Morts Dansants” ist eine minimalistische, sich immer intensiver steigernde, epische Halbballade. Bob Catley trägt in ergreifender Weise die Geschichte eines jungen Mannes vor, der wie viele Zeitgenossen in den Jahren zwischen 1914 und 1918 von seiner eigenen Regierung wegen “Feigheit” von einem Erschießungskommando hingerichtet wurde, obwohl er aufgrund posttraumatischer Belastungsstörungen ernsthafte psychologische Hilfe benötigt hätte. Allein was Clarkin hier im Text an Bildern auffährt ist beispielhaft und gehört in jedes Schulbuch: “On the wire like a ragged old scarecrow / Bloody hands and broken back / When they fire, see him pirouette solo / Jump in time to the rat-a-tat.”

“Keep your night light burning … ”

Mit dieser monumentalen musikalischen Tour de Force kann die B-Seite nicht ganz mithalten. Sie besteht aus vier wiederum eher straighten und riffgetragenen Rockern, aus denen vor allem “Two Hearts” hervorsticht. “Steel Your Heart” und “All England’s Eyes” hingegen schielen wieder deutlich in Richtung Charttauglichkeit. Doch auch derlei geartete Tracks sind im Hause MAGNUM keine Ausschussware, sondern Perlen des melodischen Hard Rock. Als Abrundung der Scheibe gibt es noch die Ballade “The Last Dance”. Sie zählt zu den traurigsten und dramatischsten Balladen der Band und war ursprünglich als Up-Tempo-Rocker geplant. Auf Vorschlag von Keyboarder Mark Stanway gestalteten MAGNUM das Stück zur Ballade um. Dadurch sollte der Abschluss des Albums wirken wie die letzte Nummer in der Jukebox irgendeiner verrauchten, leicht tristen Kneipe.

“On A Storyteller’s Night” muss man haben

Es bleibt ein Album, das in der an Highlights nicht gerade armen Diskografie von MAGNUM für immer eine herausragende Stellung einnehmen wird. Wuchtige Produktion, makelloses Songwriting, eingestimmte Performance, ein Artwork zum Drin-Verlieren – nicht weniger zeichnet epochale Klassiker aus. Ist man noch nicht mit dem Œuvre der Briten vertraut, so ist “On A Storyteller’s Night” sicher ein guter Anfang, um sie kennenzulernen, da es die Quintessenz des typischen MAGNUM-Sounds ist. Tatsächlich wurde das Quintett im Nachgang (“Vigilante”, “Wings Of Heaven” und “Goodnight L. A.”) immer ein wenig kommerzieller, ohne dass die Band jemals in Amerika so richtig Fuß fassen konnte. Es mag daran liegen, dass MAGNUM sogar dann noch anspruchsvoller und origineller als die Konkurrenz sind, wenn sie versuchen, einen Radio-Hit zu schreiben.

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02.02.2022

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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1 Kommentar zu Magnum - On A Storyteller's Night

  1. Stormy sagt:

    Bei allen mir nicht ganz verständlichen Lobhudeleien von Kritikern und Fans für Veröffentlichungen der letzten Jahre, bleibt On a Storytellers Night musikalisch und textlich DAS Magnum Album schlechthin und ist mit 10/10 aus meiner ganz persönlichen Sicht, die natürlich auch mit viel darum herum und Gefühlen sowie Erinnerungen verbunden ist, noch unterbewertet und bekommt von mir glatte 11 von 10 Punkten.
    Zu den vier vorherigen Alben möchte ich auch noch betonen das keines davon für mich weniger als eine 8/10 ist.
    Die beiden Nachfolger Vigilante und Wings of Heaven sind anders und Vigilante sticht vielleicht sogar am meisten aus der gesamten Diskografie heraus, weil es einfach sehr den Sound der mittleren Achtziger trägt. Damals der Zeit entsprechend auch gut, nur für mich leider eher schlecht gealtert. Wings of Heaven und vor allem der Opener und das abschließende Don’t Wake the Lion ist hingegen auch heute noch ein großartiges 80er-Jahre Rockalbum. Alles danach ist für mich leider nicht mehr als guter Durchschnitt, aber das kann vielleicht auch einfach an der großen Qualität der ersten vier und der herausragenden Genialität von Album Nummer Fünf, dem hier zurecht gelobten On a Storytellers Night liegen.

    10/10