Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.
Wenn es im Prog so etwas wie Badassery gibt, dann sind MAGMA sicher eine Verkörperung dessen: Nicht nur haben die Franzosen um Bandkopf und Schlagzeuger Christian Vander praktisch im Alleingang ein Subgenre – den Zeuhl – begründet, sondern mit dem Kobaïanischen dafür zusätzlich noch eine barbarisch anmutende Kunstsprache speziell für dieses Genre entwickelt. Vander hat diese Sprache aus den improvisierten Scat-Gesängen im Jazz heraus entwickelt und mit Wiederholung gewisser Wortlaute mit entsprechender Semantik gefüllt, sodass das sperrige Werk der Franzosen tatsächlich einem Konzept untergeordnet ist.
MAGMA definieren einen ureigenen Sound
Dreh- und Angelpunkt dieses albumübergreifenden Konzeptes sind Geschichten, Legenden und Mythen des fiktiven Planeten Kobaïa, der von irdischen Auswanderern bevölkert worden ist, nachdem die Erde – vermutlich durch den Mangel an echt gelebter Nachhaltigkeit – immer unbewohnbarer geworden ist. Doch das beschränkt sich nicht nur auf Inhalt und Sprache: MAGMA selbst verkörpern dieses Konzept, indem sie selbst in die Rolle solcher Auswanderer schlüpfen und als solche die Erde „besuchen“ kommen, um ihre „himmlische Musik“ (das entspricht ungefähr der „Übersetzung“ des Wortes „Zeuhl“) darzubieten. Und die klingt nicht zuletzt auch dank der Sprache wahrhaftig wie nicht von dieser Welt.
Da soll jemand noch mal sagen, dass Songs in elbisch oder orkisch zu nerdig für den durchschnittlichen Gaumen seien. Und mit ihrem dritten Album „Mekanïk Destruktïw Kommandöh“ hat die Band dies in Stein gemeißelt und ein, wenn nicht sogar: DAS Schlüsselwerk dieser neuen Stilrichtung geschaffen. Dabei hätte das Album eigentlich sogar ganz anders klingen können, denn die eigentliche Ur-Version, welche die Band ihrem Label zuerst unter die Nase hielt, wurde abgelehnt. Usprünglich ist das als einzelnes Stück konzipierte Album mit eine weniger umfangreichen Instrumentierung ausgestattet worden, um so den Fokus auf den Gesang setzen. Doch um den (damaligen) Ansprüchen an Rockmusik gerecht zu werden, hatte man Christian Vander zurück ans Zeichenbrett geschickt.
Willkommen in der Welt der Kobaïaner
Besagte Urfassung erschien erst später 1987 unter dem Titel „Mekanïk Kommandöh“ als Ein-Track-Album, während Vander die Version, die dann tatsächlich 1973 veröffentlicht worden ist, mit einer Bläsersektion, einer expandierteren, gemischten Chorsektion sowie Gitarre und Bass aufgestockt hat. Nach wie vor als einzelnes, zusammenhängendes Stück konzipiert, ist die gängige Version in sieben Akte (man lese hier: Tracks) unterteilt, die jedoch fast allesamt fließend ineinander übergehen und auch zusammenhängend gehört werden sollten. Allein zwischen „Kobaïa Iss Dëh Hündïn“ und „Da Zeuhl Ẁortz Mëkanïk“ ist so etwas wie ein Cut zu hören, vermutlich aufgrund der technischen Umstände der damaligen Zeit (Schallplatte und so).
So, jetzt aber lange genug um den heißen Brei gequakt: Was geht hier eigentlich ab? Im Ernst: Was geht hier eigentlich ab?! Es ganz sicher keine Übertreibung zu sagen, dass „Mekanïk Destruktïw Kommandöh“ eines der seltsamsten Alben der jüngeren Musikgeschichte ist. Und ein Faktor hierin ist sicher die bereits erwähnte Kunstsprache, in der hier ausschließlich gesungen wird. Man schreibt der Beschaffenheit dieser Laute gerne eine entfernte Verwandschaft mit deutschen oder slawischen Wörtern zu, Unsereins meint, auch hier und da japanisch anmutende Silbenfetzen heraus zu hören wie in „Ïma Sürï Dondaï“.
„Mekanïk Destruktïw Kommandöh“ ist ein seltsamer Trip
Der Album- sowie die Songtitel sind natürlich bereits ein Indiz dafür, doch in der Praxis stellt sich der Gesang tatsächlich als ziemlich inbrünstig heraus, passagenweise geradezu ekstatisch – ekstatisch im Sinne von „kurz vorm Orgasmus“. Dem arbeitet die sehr ryhthmisch betonte und dadurch gerne irgendwie rituell anmutende Musik zu. Gleich beim eröffnenden Stück „Hortz Fur Dëhn Štekëhn Ẁešt“ zeigen MAGMA, wie hier der Hase läuft: Ein monotoner Beat mit repetitivem Klaviermotiv, aber abwechslungsreicher Gitarrenornamentik begrüßt den Hörer; letztere könnte entfernt mit Psychedelic Rock verwandt sein. Dazu erhebt der Chef erstmals seine Stimme, um in dieser seltsamen Sprache vorzutragen und in das Werk „einzuführen“, was fast ein bisschen an eine Predigt erinnert.
Nach etwa zwei Minuten dann setzt die Bläsersektion erstmals ein, als wollte sie das jüngste Gericht einläuten. Dazu erhebt der Chor beschwörend die Stimmen, immer noch in dieser barbarischen Sprache. Voller Inbrunst und ohne das leiseste Anzeichen eines Augenzwinkerns zu zeigen. Von hier an nimmt das Stück etwas mehr Fahrt auf und besonders die Dynamik zwischen den Gesangspassagen sorgt immer wieder für hymnische Spitzen, die sich trotz Sprachbarriere in die Gehirnwindungen einfräsen. Im weiteren Verlauf des Albums wird die Intensität des Dargebotenen immer wieder variiert, wobei speziell der erste Abschnitt von „Kobaïa Iss Dëh Hündïn“ aus einem einzigen Höhepunkt zu bestehen scheint.
Von Ekstase zu Ekstase, von Höhepunkt zu Höhepunkt
Die Musik ist indes weiterhin sehr rhythmisch geraten, während krumme Takte, dank der Verstärkung durch die Bläsersektion regelrecht jubilierende Melodien und kontrapunktische Motive jederzeit für Abwechslung sorgen. In letzterem brilliert ein „Ïma Sürï Dondaï“, bei dem sowohl die Melodien gegen den Lead-Gesang laufen als auch im späteren Verlauf des Stückes eine zweite Gesangslinie, die sich geschmeidig einfügt. Auch im späteren Quasi-Titelstück „Mëkanïk Kömmandöh“ kommt das schön heraus, wobei der Song schließlich richtig Fahrt aufnimmt und in diesem überschwänglichen Part gipfelt.
Man benötigt natürlich einen starken Magen für schräge Töne. Das hier ist ein ganz anderes Kaliber von seltsam als die heute gängige, oft eher softe Avantgarde, bei der Musiker mal ein oder zwei schräg dazwischen quakende Chords reinschmuggeln oder ansonsten normal klingenden Metal bis zur Unkenntlichkeit durch den Effekte-Reißwolf durchdrehen. Das hat alles natürlich seine Berechtigung und seine Fans, doch MAGMA haben 1973 mit dieser Platte den frühen Vogel abgeschossen und nicht nur ihre Musik, sondern gleich ihre gesamte Präsenszals Band diesem bizarren, aber irgendwie auch seltsam zeitlosen Konzept untergeordnet.
MAGMA schlagen im großen Stil ein
Der Einschlag, den MAGMA hiermit hinterlassen haben, entwickelte wie einigangs erwähnt durch das hieran ausgelegte, neue Subgenre Zeuhl ein Eigenleben. Und wie viele Alben können so etwas schon von sich behaupten? Allein dadurch sollte man sich mit diesem Album beschäftigen, besonders als Freund von Klängen fernab gewöhnlicher Hörgewohnheiten. „Mekanïk Destruktïw Kommandöh“ ist trotz allem zugänglich geraten, gerade aufgrund der hohen Dichte an Melodien, was man nicht gerade von der deutlich atmosphärischeren Urfassung sagen kann, die jedoch ebenfalls hörenswert ist.
Doch das erweiterte Instrumentarium hat im vorliegenden Falle ganze Arbeit darin geleistet, das Album deutlich eingängiger zu gestalten. Reinhören ist da fast das falsche Wort der Wahl, da sich die Platte erst am Stück genossen so richtig entfaltet. Aber sobald „Mekanïk Destruktïw Kommandöh“ den Hörer erst einmal fest im Griff hat, gibt es ohnehin kein Entkommen mehr. Und der Einfluss des Albums lässt sich vor allem im Prog-/Avantgarde-Underground immer wieder nachweisen. „Mekanïk Destruktïw Kommandöh“ hat trotz oder gerade aufgrund seiner Schrägheit seine nachhaltige Wirkung bis heute entfaltet. Klar, das so ein komisches Ding natürlich aus Frankreich kommen muss…
Für sowas wurde wohl der Begriff „artsy fartsy“ erfunden. (Ohne Wertung)