Madder Mortem - Marrow

Review

Galerie mit 18 Bildern: Madder Mortem - Support der Soen Tour 2017 in Berlin

Mögen MADDER MORTEM auch trotz ihres geradezu lächerlich konsistenten Outputs nicht in aller Munde sein, die Norweger bleiben zumindest für mich eine der erfrischendsten Erscheinungen im zugegeben leicht übervölkerten Stilgewässer zwischen Doom und Gothic. Wo genau sie sich zwischen den beiden platzieren und was noch alles an Stilrichtungen hinzukommt ist von Album zu Album unterschiedlich, nur eines scheint bei der Band um Herr und Frau Kirkevaag in Stein gemeißelt: Schlechtes kommt dabei selten herum.

Was kommt nach „Red In Tooth And Claw“?

Mit „Red In Tooth And Claw„, das an die sieben Jahre nach „Eight Ways“ auf sich warten ließ, hatte die Band seinerzeit ihr Songwriting auf die eingängige Spitze getrieben – im besten Sinne der Worte, versteht sich – und doch gleichzeitig die Kurve hin zu einem schweren, teilweise auch leicht progressiven Sound geschafft. Und über allem thronte eine überragende Agnete M. Kirkevaag, deren Stimme anno 2016 in vorläufiger Höchstform gewesen ist. Man addiere noch technisches aber nicht dahin gewichstes Riffing und eine kräftige Produktion – und heraus kam, was für mich immer noch das beste Album des Jahres 2016 ist.

Zwei Jahre und eine Umbesetzung an der zweiten Gitarre später – Richard Wikstrand ging und Anders Langberg kam – steht nun der Nachfolger „Marrow“ ins Haus. Das letzte Mal, als ich den Nachfolger eines von mir mit der Höchstpunktzahl gekürten Albums rezensierte, hielt sich die Begeisterung ein bisschen in Grenzen. Doch zum Glück haben die Norweger nicht einfach das vom Boden des Schneideraums aufgelesen, was nach „Red In Tooth And Claw“ übrig geblieben ist. „Marrow“ klingt letzten Endes doch ganz anders als sein Vorgänger, auch wenn die MADDER MORTEM-Trademarks vertreten sind.

MADDER MORTEM bleiben konsistent

Allen voran natürlich ist das der wieder großartige und unverfälschte Gesang von Agnete M. Kirkevaag, die ein bisschen die Art des Kunstjammerns betreibt. Das ist nicht negativ gemeint, es hilft nur, ihren Gesangsstil zu beschreiben. Doch „Jammern“ heißt in ihrem Falle eben auch, dass sie weit mehr als nur Trauer und kleinere Wehwehchen glaubhaft transportiert. Sie glänzt auch durch positivere Vibes wenn nötig und und strahlt in diesen Momenten – der Refrain von „Moonlight Over Silver White“ sei als Beispiel genannt – eine angenehme Wärme aus, oder schimpft mit kommandierender aber nicht gutturaler Aggression eiskalt auf den Hörer ein.

Kräftige, kontrastierende Unterstützung erfährt sie dennoch reichlich durch BP M. Kirkevaag. Seine Shouts ergänzen sich gut mit den Lead Vocals, was sich zum Beispiel bei „My Will Be Done“ gut beobachten lässt. Und durch das stimmungsvolle, geschickte Zusammenspiel beider Gesangsarten umschiffen MADDER MORTEM auch noch das nervige Gothic-Klischee von der Schönen und dem Biest weit genug, um interessant zu bleiben.

Das eigentlich Interessante an „Marrow“ ist aber der generelle Hang, den Sound wieder in etwas traditioneller anmutende Gefilde zu lenken. Die Norweger setzen sich genau in die Schnittstelle zwischen modernem Doom und Gothic Metal und schneiden sich aus beidem die Filetstücke heraus. Dafür opfern MADDER MORTEM etwas von ihrer Experimentierfreude, doch das lässt sich dank des wieder einmal überragenden Songwritings verkraften.

Mut zur Veränderung, Mut zu „Marrow“

Umschlossen von den Intro- respektive Outro-Tracks „Untethered“ und „Tethered“ finden sich Songs, die deutlich subtiler und düsterer anmuten, als noch auf dem geradezu expressiven, ja: explosiven Vorgänger. „Liberator“ eignet sich aufgrund seines vergleichsweise hohen Tempos als guter Einstieg in den ansonsten zwischen Midtempo und Langsamkeit rangierenden Songmaterial, das teilweise eine dezente Film Noir-Ästhetik zu verfolgen scheint, etwa bei den ruhigeren Passagen von „Moonlight Over Silver White“.

Sanfte, melancholische Klänge dominieren gar „Until You Return“ und lassen den Song einfach runter gehen wie Öl, auch dank der kristallklaren Produktion, die „Marrow“ wieder einmal zu einem echten Erlebnis macht. Auch „Stumble On“ beginnt ähnlich behutsam, baut sich jedoch nach und nach zu einem echten Ungetüm auf, was in einem stampfenden Finale mit hämmernder Perkussion und Agnete M. Kirkevaags kommandierender Stimme endet.

Etwas mehr Härte haben die Norweger bei „My Will Be Done“ eingesetzt. Das Ergebnis ist ein heftiger Stampfer, der dank aggressiven Shouts hier und da fast schon Sludge-Luft schnuppert. Der Titeltrack lärmt dank dissonanter Riffs auch mit dezenter Sludge-Schlagseite, kontrastiert dies aber wieder mit diesen subtileren, wiederum Noir-artigen Klängen. Unterdessen markiert „Waiting To Fall“ den Doom-Höhepunkt des Albums mit enorm dramatischer Gesangsdarbietung und wiederum dem gelungenen Wechselspiel zwischen breitbandigen Gitarrenwänden und ruhigeren, kristallklaren Passagen, die beide nahtlos ineinander greifen.

In sich gekehrt und doch vertraut

„Marrow“ ist im Gegensatz zu seinem Vorgänger ein Grower. Es empfängt seine Hörer bei weitem nicht so offenherzig, wirkt im Gegensatz zu diesem geradezu in sich gekehrt und sperrig. Stattdessen lädt das Album seine Hörer ein, entdeckt zu werden. Und das ist tatsächlich auch das einzige, was sich wirklich an dem Album aussetzen lässt.

Abgesehen davon haben MADDER MORTEM wieder einmal großes Kino abgeliefert. Die Norweger haben uns erneut ein Album kredenzt, das durch und durch organisch klingt und eine wohlige Wärme ausstrahlt, dabei doch genug vertraute Ankerpunkte bietet, um wiedererkennbar zu bleiben. Die Änderungen, welche die Band im Sound vorgenommen hat, ergeben durchweg Sinn und halten die Musik frisch und konsistent. „Marrow“ ist somit ein weiteres Highlight in der Diskografie der Band, das wieder vor Magic Moments strotzt. Übrigens dank der einfühlsamen Melancholie von Tracks wie „Until You Return“ ein ideales Album für den Herbst.

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22.09.2018

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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