Lorna Shore - Pain Remains

Review

LORNA SHORE erleben seit ihrer „…And I Return To Nothingness“ einen Hype, den wohl niemand erwartet hätte. Schließlich ist die Band schon seit 2010 unterwegs, hat aber auch zahlreiche Besetzungswechsel zu verkraften gehabt. Zwar haben LORNA SHORE stetig an Bedeutung in der Deathcore-Szene gewonnen, der große Wurf war aber nicht dabei. Als sie sich 2019 von ihrem ehemaligen Sänger CJ McCreery trennten, stellte sich dies als unerwartetes Glück heraus – daran lässt auch das neue Album „Pain Remains“ keinen Zweifel.

“Pain Remains“ lebt vom Gesamtkonzept

Zwei Dinge sind dafür entscheidend: Die deutlich prominentere Orchestrierung, die schon die 2020er EP aus der Masse hob, und ihr neuer Sänger Will Ramos. Dessen stimmliche Vielfalt ist faszinierend wie bereichernd. In Kurzfassung ließe sich „Pain Remains“ sogar als konsequenter Schritt nach der EP zusammenfassen. Doch das wäre nicht gerecht: Das Album hat nicht nur einfach den Vorteil, dass es mehr Songs hat, sondern auch ein schlüssiges Konzept, das durch die verwendeten cineastischen Momente (der Spannungsaufbau in Intros und Zwischenspielen ist gewaltig), die einzelnen Songs und Kapitel der Geschichte komplett zusammenhält. Ein Effekt, der es trotz der inzwischen fünf veröffentlichten Singles lohnenswert macht, „Pain Remains“ am Stück zu hören.

Denn LORNA SHORE haben ein atemberaubend vielfältiges, brutales und gleichermaßen tiefes Werk erschaffen. Die Deathcore-Basis ist geblieben. Die Songs sind gewaltig, die Breakdowns krachen kompromisslos, und auch die frickeligen Soli sind längst nicht verschwunden. Doch was darüber hinaus passiert, wirkt frisch. Die symphonischen Elemente legen sich wie ein finsterer Nebel über die Songs, verdichten die beklemmende Atmosphäre und bieten Kontrast und Unterstützung für das wuchtige Schaffen. Blastbeats und schneidende Riffs gehören dabei ebenso zum Repertoire wie melancholische Leads und eben Will Ramos‘ Gesang.

Will Ramos ist eine Bereicherung für LORNA SHORE

Der Fronter, der innerhalb kürzester Zeit Protagonist in zahlreichen Reaction-Videos geworden ist, liefert auf „Pain Remains“ eine unglaubliche Bandbreite an Screams, Growls und (in Ermangelung eines besseren Worts) animalischen Geräuschen, dass er sich ideal als weiteres Instrument ins Bandgefüge fügt. LORNA SHORE haben, wenn das überhaupt möglich ist, noch mehr darauf geachtet seiner Stimme einen prominenten Platz einzuräumen, und er füllt diesen. Allein das überragende „Sun//Eater“ oder hochemotionale „Pain Remains I: Dancing Like Flames“ wird durch seinen Variationsreichtum noch emotionaler, noch dramatischer. Aber sich an einzelnen Songs festzuklammern, würde den Rahmen sprengen. Denn die Faszination liegt bei „Pain Remains“ oder LORNA SHORE ohnehin im Gesamtbild. Die Brutalität und Komplexität ist im Gegensatz zu vielen Genre-Bands eben nicht Kern der Geschichte, stumpf ist ohnehin nichts.

Stattdessen vereinen LORNA SHORE eine enorme Anzahl an Elementen, um daraus ein überwältigende Einheit zu machen, die einerseits komplex ist, auf der anderen Seite aber auch unglaublich fesselnd. Denn bei allem, was „Pain Remains“ fordernd macht, schwingt eine Catchiness mit, die in dem Bereich selten ist … und die Jungs auch über die Grenzen attraktiv macht.

Wir vernachlässigen einmal die Aufzählung von Einflüssen, die von Filmmusik bis (Symphonic) Black Metal reichen dürfen, und betrachten „Pain Remains“ als das, was es ist: Ein unfassbar gutes modernes Album, das auch in seiner fetten Produktion absolut Sinn ergibt. Logisch muss einem das nicht gefallen, es ist schließlich Kunst – doch die Ebenen, auf denen sich anknüpfen lässt, sind beachtlich: Atmosphärisch, eingängig, komplex, brutal, emotional, gewaltig … es ließen sich weiter beliebig Adjektive addieren – doch der finale Schluss ist einfach: Ein Album, das 2022 prägen dürfte und LORNA SHORE wohl endgültig aus den Genre-Grenzen reißt.

10.10.2022

Chefredakteur

Exit mobile version