Keyboarder raus, Sänger/Keyboarder rein, Sänger/Keyboarder raus, Sänger rein. Was auch geschieht – die LONG DISTANCE CALLING-Kernbesetzung aus David Jordan, Florian Füntmann, Janosch Rathmer und Jan Hoffmann bleibt bestehen. Und die ist nach fünf Alben und zehn gemeinsamen Jahren verdammt gut eingespielt. Der Vierer aus Münster agiert inzwischen dermaßen tight, dass bei klassischem Post-Rock längst von verschwendetem Talent die Rede sein müsste. Dabei stießen LONG DISTANCE CALLING mit ihrem jahrelangen Versuch, das lästige Trend-Etikett abzuschütteln, bei Presse und Fans meist auf taube Ohren. Mit „TRIPS“ dürfte sich das nun zwangsläufig ändern.
Radiotauglicher Synthie-Rock und kultiger Achtziger-Touch
„TRIPS“ ist schon ein kleiner Schocker: Wo sich Fan-Ängste angesichts des Engagements von Marsen Fischer (PIGEON TOE) für „The Flood Inside“ nicht bewahrheiten, setzt die neuste Gesangsverpflichtung nun ein dickes Ausrufezeichen: Mit dem norwegischen Popvokalisten PETTER CARLSEN an der Front agieren LONG DISTANCE CALLING songdienlicher denn je. Für die erste Auskopplung „Reconnect“ musste sich die Band bereits LINKIN PARK-Vergleiche gefallen lassen, was angesichts des radiotauglichen Synthie-Rocks samt lupenreinem Engelschorus zwar keinesfalls falsch, aber sicherlich zu kurz gegriffen ist. Die vom scheidenden Sänger und Keyboarder Fischer eingespielten Tasteninstrumente definieren die musikalische Neuausrichtung auf „TRIPS“ zwar tatsächlich zu großen Teilen – nur um schnöden Radiopop geht es hierbei aber mitnichten. Schon der Opener „Getaway“ zeugt von einem gewaltigen Achtziger-Touch, Oberlippenbärtchen im Musikvideo und funky Vocoder-Part inklusive.
Glasklare Produktion lässt LONG DISTANCE CALLING alle Trümpfe ausspielen
Neben dem gefälligen Songwriting als solchem ist es insbesondere Produzent Vincent Sorg, der die Band gefälliger denn je wirken lässt. Der DIY-Charme eines „Avoid The Light“ mag angesichts der lupenreinen Bügelproduktion flöten gehen, andererseits kann die reinkarnierte Rockband ihre Trümpfe dadurch erst so richtig ausspielen. Während die meisten der mit Gesang versehenen Stücke dem angesprochenen „Reconnect“ ähnlich eingängige Rockmusik auf unterschiedlichem Dynamikniveau bieten („Rewind“, „Lines“), mausert sich das getragene „Plans“ zum proggy Atmo-Hit der Platte. Und das, obwohl LONG DISTANCE CALLING mit „Flux“ gnädigerweise sogar einen recht typischen Instrumental-Longtrack beilegen.
Größtmöglicher Abwechslungsreichtum trotzdem gegeben
Den vertrauten Hörer dürfte es Zeit, Muße und in einigen Fällen gar einen Facebook-Frustpost kosten, um zu erkennen, dass im Grunde alle der über vier Alben erarbeiteten LDC-Trademarks noch immer vorhanden ist. Denn wenn sich LONG DISTANCE CALLING als starke Instrumentalisten schon einmal entschließen, von nun an regelkonforme Rockmusik zu spielen, dann ist das noch lange kein Ausschlussargument für größtmöglichen Abwechslungsreichtum. Ein Trippy Tribal-Instrumental namens „Momentum“ oder ungewohnte Hard-Rock-Ausbrüche wie in „Trauma“ beweisen das einmal mehr.
Post-Rock ade! „TRIPS“ ist tighter, grooviger, intelligenter – und könnte für LONG DISTANCE CALLING hier und da einen Hörer weniger bedeuten. Im Gegenzug wohl aber auch jeweils zwei neue mehr.
Nun ja, ähm, was soll ich zu der Scheibe sagen. LDC waren mal mit Anathema auf Tour, hört sich deshalb auch der neue Sänger so weinerlich an? Passt meiner Meinung nach überhaupt nicht, da hätten sie besser gleich ne Frau engagiert. Damit haben sich Anathema bei mir schon vor 15 Jahren aus der Wahrnehmung verabschiedet. Und die Mucke…oh Mann, ich hab mir extra vor dem geplanten Kauf (soviel vorweg: Er ist nicht mehr geplant) noch die vorigen Alben angehört. Da muss ich sagen, dagegen stinkt Trips richtig ab. Die Produktion ist super, keine Frage. Druckvoll und glatt, was hier auch gut passt. „Dreck“ unter den Nägeln würde LDC ohnehin nicht stehen. Aber die Songs mit ihrem 80er-Elektropop-plus-Alternative-Touch klingen mir zu schmalzig-süß. Kein Vergleich zu den alten Sachen, die einen richtig mit auf die Reise nahmen. Trips ist beileibe kein schlechtes Album, aber mich holt die Band vorerst nicht mehr zu einem Trip ab. 6 Punkte.