Nach der starken EP „Ghost“ (2021) und dem Sieger des metal.de-Soundchecks “ How Do We Want To Live?“ (2020) halten sich Erwartungshaltung und Vorfreude auf das neue LONG DISTANCE CALLING-Album ungefähr die Waage. Und ja, es soll ein großes und wichtiges Album für die Band werden. So zumindest der Tenor aus dem Umfeld der Prog-Rocker in den vergangenen Wochen.
Bestandsaufnahme: Wir haben ein Problem. „Eraser“ legt den Finger in die Wunde
Das der Umgang des Menschen mit Natur und Tierwelt immer problematischer wird und es schwerfällt, Licht am Ende des Tunnels zu sehen, ist eine gängige Beobachtung der heutigen Zeit. Doch die Kritik an der Ausbeutung der Natur ist kein neuzeitliches Phänomen. Bereits vor 100 Jahren brachte der Philosoph Ludwig Klages in seinem Essay „Mensch und Erde“ äußerst kritische Gedanken rund um dieses Thema zu Papier. LONG DISTANCE CALLING versuchen sich heuer erneut an diesem so wichtigen Thema und stellen auf „Eraser“ in jedem Stück ein vom Aussterben bedrohtes Tier in den Vordergrund. Richtig und wichtig!
Mit diesen bipolaren Bildern im Kopf ist ein musikalisch äußerst vielschichtiges Album entstanden. „Eraser“ klingt per se zunächst aufgeräumt und strukturiert. Dazu kommt eine grobe Prise Melancholie, die allen Stücken eine zusätzliche Gefühlswelt einfügt. Gleichermaßen ist das Album hart und progressiv, ohne dabei in einer Sekunde die Abwechslung zu vergessen. „Eraser“ lässt ein Spannungsfeld entstehen, welches die paradox und komplex erscheinenden Welten zu einem runden Hörerlebnis zusammenfügt.
Ein Stück, welches in diesem Kontext wirklich heraussticht ist „Sloth“ zur Mitte des Albums. Hypnotische Saxophon-Klänge von Jørgen Munkeby (SHINING NOR) und ein gänzlich anderes Pacing im Songwriting machen dieses Stück zu etwas Besonderem im Katalog von LONG DISTANCE CALLING und bringen das erste große Highlight des Albums ans Tageslicht.
Dennoch müssen sich auch die anderen Stücke nicht hinter diesem offensichtlich anders geformten Stück verstecken und der Zuhörer wird nicht müde, haufen- und eimerweise Höhepunkte auf „Eraser“ ausfindig zu machen. Dank des wirklich hervorragenden Sounds fällt diese Suche umso leichter. LONG DISTANCE CALLING gelingt der Wechsel zu einem sehr natürlichen und organischen Klang, ein Stück zurück auf den Spuren der Anfänge der Rock Musik. Insbesondere der Drum-Sound, der bewusst auf Samples verzichtet, zahlt die investierte Mehrarbeit durch diese Entscheidung drei- und vierfach zurück. „Eraser“ ist in diesem Sinne wirklich eine Wohltat für die Ohren, gerade in der heutigen überreizten und hysterischen Zeit.
LONG DISTANCE CALLING auf dem Weg zum Olymp
„Eraser“ zeigt eindrucksvoll, warum LONG DISTANCE CALLING an der Spitze der deutschen Prog- und Post-Rock-Szene stehen. Das Album führt die Band zu einem neuen Höhepunkt in ihrem bisherigen Schaffen und setzt dabei inhaltlich und musikalisch genau die richtigen Statements. Einfach nur gut.
Also wenn ich ehrlich bin, dann finde ich dieses Album nicht besonders gut.
Hat seine Momente hier und da, aber grundlegend wirkt das meiste auf mich recht belanglos. Paint By Numbers.
Kein Vibe, mit dem ich gern mitschwingen möchte. Der recht sterile Sound wirkt im Postrock-Kontext auf mich auch nicht sonderlich unterstützend.
Dann (aktuell) doch lieber Russian Circles oder Crippled Black Phoenix. No Offense..