Das ist ja mal ’ne Mischung: Yoga und experimenteller Black Metal. Dazu gleich mehr. LOCRIAN rücken mit ihrem zweiten Album „Infinite Dissolution“ an und verbreiten darauf eine verstörende Stimmung. Ambient-Klänge und Noise werden gekonnt mit zeitgenössischem Black Metal vermengt, um daraus etwas Großes, etwas Dunkles, etwas Böses zu schaffen. Und das ist dem Trio aus Chicago, Illinois, auf ganzer Linie gelungen. Gitarrist André Foisy entpuppte sich doch tatsächlich als Yoga-Trainer, der regelmäßig u.a. auf seiner Tumblr-Seite Übungsvideos und spirituelle Botschaften verbreitet. Der gute Mann vertritt darüber hinaus die Ansicht, das Yoga und extremer Metal wunderbar zueinander passen und zusammen auf den Namen „Metal Yoga With André Foisy“ hören. Was das mit LOCRIAN und „Infinite Dissolution“ zu tun hat?
Viel, denn die beruhigenden Ambient-Klänge vertragen sich erstaunlich gut mit den heftigen Black-Metal-Ausbrüchen. Beides hält sich in etwa die Waage und sorgt ein ums andere Mal dafür, das dem Hörer ein wohliger Schauer den Rücken herunterläuft. „Infinite Dissolution“ ist spiritueller, atmosphärischer Black Metal, der Geschichten vom Weltuntergang erzählt, während LOCRIAN selbst über dem Geschehen stehen und den Hörer dazu einladen, es ihnen gleich zu tun.
Eröffnet wird „Infinite Dissolution“ mit dem überragenden Opener „Arc Of Extinction“, mit eines der besten Eröffnungsstücke, die ich jemals gehört habe. Es beginnt mit Gitarren- und Synthiegebrumme, um Spannung aufzubauen. Durch regelmäßige und immer unruhiger werdende Trommelschläge wird diese langsam aber sicher in die Höhe getrieben, bis der Song schließlich in einem göttlichen/teuflischen Blastbeat hinein errumpiert. Das Pacing des Songs ist einfach perfekt. Dazu kreischt Terence Hannum im Hintergrund die lakonischen Texte, wirkt durch die eingeschränkte Verständlichkeit seiner Worte aber eher wie ein weiteres Instument – was nicht negativ zu verstehen ist. Im Gegenteil: Es passt hervorragend ins Klangbild und zum Konzept von „Infinite Dissolution“, der unendlichen Auflösung, in der die Grenzen verschwimmen, das Leben von der Erdoberfläche schwindet und jeder Hilferuf vergebens ist. Es ist natürlich ein wenig schade, dass man ohne vorliegende Texte nicht viel von den gut geschriebenen Lyrics mitbekommt, aber andererseits regt dieser Umstand auch umso mehr die Fantasie des Hörers an.
Es folgt das getragene „Dark Shales“, das mit seinen spacigen Effekten und dem hymnischen Riffing eine geradezu hypnotische Wirkung entfaltet und dadurch irgendwie unwirklich klingt. Das anschließende „KXL I“ wandelt sich von einem ruhigen aber schon leicht angezerrten Shoegaze-Intermezzo zu einer stark verzerrten, albtraumhaften Noise-Kakophonie, aus der die eingangs vorgestellte Hauptmelodie des Stückes nur noch fragmentarisch herauszuhören ist. Und damit wäre gerade mal das erste Drittel dieser vertonten Dystopie geschafft.
Und ähnlich cineastisch und unberechenbar setzt sich „Infinite Dissolution“ fort, wobei LOCRIAN noch einmal etwas kompakter klingen als beispielsweise auf dem ohnehin schon sehr atmosphärischen „The Clearing“. Die US-Amerikaner lassen immer wieder kleine Hoffnungsschimmer durchleuchten, etwa im recht poppigen „The Future Of Death“, dem dann aber das zerstörerische „An Index Of Air“ folgt. So werden die Erwartungen des Hörers geschürt und im nächsten Moment zu etwas Monströsem verdreht. Besonders schön ist vor allem, dass die eingestreuten Noise-Attacken wunderbar ins Konzept des Albums hineinpassen und trotzdem nie überhand nehmen, nerven oder gar wehtun, was ja gerne mal bei experimentellem Noise passiert.
„Infinite Dissolution“ ist Kino für die Ohren, ein Album wie eine düstere und zugleich hypnotische Dystopie-Dokumentation, in der die Menschheit ihren Kampf ums Überleben längst verloren hat. Als solches ist es gewiss ein schwer zu verdauender Brocken. LOCRIAN haben einen gewaltigen Monolithen geschaffen, bei dem sich der Grat zwischen Schönheit und Grausamkeit zusehends auflöst, ein ausgesprochen mitreißendes Album, auf das man sich einlassen muss, quasi eine Yoga-Lehrstunde für Nihilisten. Hier stimmt einfach alles: die Atmosphäre, der Sound, das Konzept, die Länge, die Umsetzung von alledem – einfach großartig!
(Foto von Jimmy Hubbard)
verdammte Hippies.