Es war in den Neunzigern, da sollte der Autor dieser Zeilen nach dem Besuch eines PRIEST-Konzertes den Bekannten eines Freundes nach Hause chauffieren. Was da in meinen Wagen stieg, trug Spandex-Jeans der Doro-Kategorie, die Haare mit Respond-Grüner Apfel-Shampoo eingehend gepflegt, die Stulpenstiefel mit Strassbesatz trve über den Beinkleidern, das ganze gründlich zusammengehalten von einer mit Fledermausärmeln bestückten XXL-Jeanskutte, selbige mit BON JOVI-, SAMMY HAGAR und AEROSMITH-Aufnähern ausgiebigst ornamentiert. „Ey, cool, hier schmeiß ma ein“ tönte Freund Hartmut, und ersetzte meine ALICE IN CHAINS-Cassette spontan durch eben das nun zu besprechende Opus, LIZZY BORDENS „Master Of Disguise“. Da hatte LIZZY ihre erste Chance, und die vertat sie schon mit den ersten Klängen. Den jubilierenden und hektisch Luftgitarre spielenden Spandex-Hosenträger ignorierend, liess ich das Tape nach zwanzig Sekunden lässig aus dem Schacht fliegen, um es mit geübtem Schleuderwurf mitten im damals schon recht ansehnlichen Berliner Straßenverkehr zu plazieren, sozusagen auf Nimmerwiedersehen. Das auf diese Tat hin grauenhaft entstellte Gesicht von Hartmut, nicht nur in dieser Pose an DAVID HASSELHOFF gemahnend, ist mir bis heute ins Gedächtnis eingebrannt. Müßig zu sagen, dass er das fahrende Auto umgehend (in dieser Art jedoch nicht ganz freiwillig, wie ich zugeben muss) verließ, um zu Fuß den Weg in die Vorstadt anzutreten.
Nun also die zweite Chance, dieses zur Feier des 25-jährigen Bestehens von Metal Blade neu gemasterte und wiederveröffentlichte „Meisterwerk“ von 1989 entsprechend zu würdigen. Das sehr amerikanische Cover führt zunächst schon mal nicht zu Enthusiasmus und Vorfreude. Aber warten wirs mal ab. „Master Of Disguise“ beginnt mit einem Intro, dass, an ältere Rocky-Filme erinnernd, in den gleichnamigen Song übergeht. Leiernde nasale Vocals, Chöre schon zu Anfang, dünne Gitarren, dafür jedoch eine pompös-dröhnende Produktion bestimmen das Hörerlebnis. Ein kurzes Solo, wie es Kumpel Eddie van Halen allerdings sehr viel besser hingekriegt hätte, bildet den Höhepunkt des Openers. „One False Move“ beginnt ruhig, leise Schlachtendrums setzen ein, so haben MAIDEN das damals auch gemacht. Überhaupt, hier spätestens hört man, wie der Sänger gern klingen möchte, nämlich nach einer Mischung aus MAIDENS Bruce Dickinson und Geoff Tate von QUEENSRYCHE. Dennoch, dieser Song ist ganz nett geworden. „Love Is A Crime“ beginnt mit den Lauten einer Dame, die stark mit sich selbst beschäftigt zu sein scheint, falls mein Erkenntnisstand zu solch einer Aussage überhaupt Berechtigung bietet, dann folgt das, was ich an dieser Art Musik immer schon verabscheut habe: trötende Bläser, fanfarenhafte Bombastsounds verkleistern klägliches Gewinsel mit Zucker, der übermäßig melodische Refrain wird sicher an die dreißig Male wiederholt, der Song ist süßlichster amerikanischer Mainstream ohne jede Power.
„Sins Of The Flesh“ beginnt mit einem Metal-Riff von MAIDEN aus der „Piece Of Mind“-Ära, dann der nasal-intonierte Gesang des Meisters, harmlos, passt nicht zum eigentlich nett geklauten Riff. Die Gitarrenlicks sind durchaus nicht unangenehm zu hören, allein an Dynamik fehlt es, immer angezogene Handbremse, stets meint man, LIZZY BORDEN wollten damit die Herzdame vom College zum Abschlussball bewegen, quasi Minnesang betreiben oder auf Verlobungsfeiern aufspielen. „Phantoms“ beginnt ELTON JOHN-artig mit Piano, mutiert sodann zum quäkigen, mit Chören überladenen Smasher, langweilig auch dieser Track. Aber das Solo läßt dann doch aufhorchen, in der Tat, klasse in Szene gesetzt, ganz klar die beste Passage bisher. Wenn da doch nur ein vernünftiger Sänger dabei wäre; stattdessen wird permanent dieses Geschwurbel und Gesülze geboten. „Never To Young“ umwickelt auch mehrfach mit rosa Zuckerwatte, dauert das in Amerika eigentlich immer so lange, die Herzdame für den Tanz zu gewinnen? Oder hat unsere Kleine Probleme, ihr Kleid zuzukriegen? Wie dem auch sei, so trällern und flöten LIZZY BORDEN sich durch alle Songs, lassen einen Frühling aus Plastik entstehen, verweigern sich konsequent dem Blues und überhaupt allem, was nicht zu einhundert Prozent radiotauglich ist und lassen in nahezu jedem Song kurz innehalten, nämlich dann, wenn die Gitarrensoli loslegen. Auch ein wirklich netter Track ist zu erwähnen: „Waiting In The Wings“ ist das Highlight der Scheibe, hier stimmen die Vibes, selbst der Gesang, AEROSMITH trifft QUEENSRYCHE, wirklich gut gemacht, das.
Für mich macht die Auflage dieser vollkommen unmodernen, andererseits auch nicht wirklich old-schoolig einherkommenden, lediglich am Kommerz und glattgebügelten Hörgewohnheiten orientierten Veröffentlichung wenig Sinn. Für Genrefreunde gibts im Backkatalog von MÖTLEY CRÜE weit besseres, auch die Vorbilder MAIDEN und QUEENSRYCHE sind eher zu empfehlen, da mit weit besserem Songwriting aufwartend. Ebenso nehm ich ALICE COOPER oder W.A.S.P. lieber im Original. Und dass man Rock aus den Siebzigern auch intelligent zitieren kann, zeigen z.B. THE ARK augenzwinkernd mit „Glamour For Glamour“ oder KASABEAN mit „Don’t Shoot The Runner“. Wer allerdings authentisches Boxhallenfeeling kombiniert mit Teenager-will-weggehen-und-muss-erst-die-Eltern-Fragen-Attitude in seine Wohnung holen will, der liegt hier goldrichtig. Für Komplettisten ist vielleicht noch interessant, dass der Auflage zwei DVDs beigefügt wurden; das Making-of der besprochenen Scheibe sowie ein Konzert-Mitschnitt aus dem Jahre 1985 zu Zeiten der „Love You To Pieces“-Tour.
Für das professionelle Einspielen und einige ganz nette Ansätze („Waiting In The Wings“) gibts gute vier Punkte. Eine dritte Chance für Freund Hartmuts Lieblingsband wirds nun aber nicht mehr geben.
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