Lizzard - Eroded

Review

Hui, es gibt ein neues SOEN-Album. SOEN sind schon schoen. Aber wem das zu schoen und nicht erdig genug ist, für den liefert das französische Trio LIZZARD mit ihrem neuen Album „Eroded“ fast auf dem Fuße folgend genau das richtige Kontrastprogramm. Der mit modernen Prog-Versatzstücken verstärkte Stoner Rock geht weniger in die emotionalen Tiefen, die Martin Lopez, Joel Ekelöf und Co. ergründen. Dafür sammeln Mathieu Ricou, William Knox und Katy Elwell den ganzen Staub und die ganze Erde auf, die SOEN links haben liegen lassen, und formen daraus ein hoch modernes Rock-Album, das genau das Richtige gegen die eingeschlafene Füße ist, die im Rahmen des andauernden Lockdowns mal wieder ordentlich durchgeschüttelt gehören.

Was die Franzosen hier abfeuern gleicht auf seine Grundsubstanzen herunter gebrochen schon dem, was im modernen Alternative Prog so üblich ist. Im Falle von LIZZARD sind das vor allem bevorzugt rhythmisch spielende, gerne auch mal im GOJIRA-Legato-Modus riffende Gitarren, ein Hang zu dieser Psychedelik, die immer so ein bisschen wie eine straight rockende Ableitung der zerebralen Seltsamkeiten von TOOL anmutet, und – wo wir gerade bei Maynard James Keenan sind – Gesang, der ebenfalls irgendwo dort verwurzelt ist. Ricou klingt am Mikrofon nicht so voluminös wie beispielsweise ein Ian Kenny, aber es passt trotzdem zum Sound und – wichtiger – transportiert die Hooks souverän. Insofern kann man hier allenfalls auf hohem Niveau meckern.

Mehr Erde für den modernen Rock – LIZZARD zücken ihre Schaufeln

Soviel zur Pflicht, jetzt aber die Kür: Statt sich im Bestreben, den eigenen Einflüssen zu entfliehen, in eine gesichtslose Situation hinein zu musizieren, machen sich LIZZARD ihre Einflüsse zu eigen und servieren ein hervorragendes, modernes Rock-Album, unterfüttert mit einer angenehmen Stoner-Heaviness. Dazu finden immer wieder nette Details in den Sound hinein wie vereinzelt auftauchende, krumme Takte, beispielsweise zum Ende von „Blowdown“ oder das zum Großteil im 7/4-Takt gehaltene „Haywire“. Nicht direkt krumm, aber dennoch schick ist auch das mitunter im 6/4-Takt dargebotene „The Decline“. Hier taucht selbstredend nichts Verschachteltes auf, es ist mehr eine Art Würze, die auf den Rock aufgetragen wird und ihm notwendige Textur verleiht, vgl. etwa auch MONSTER MAGNETs „Medicine“.

Das Ergebnis ist ein Fest für den modernen, dynamischen Rocker. Effekte, aber auch Gitarrist Ricous liebstes Spielzeug, die Loop-Funktion, spielen in diesem Sound eine große Rolle. Die Franzosen lassen Synthesizer und Co. weitestgehend links liegen und verlassen sich vor allem auf das, was sich in als klassisches Rock-Trio bewirkter Hand- und Fußarbeit unmittelbar aus ihren Instrumenten herausholen lässt – klassische Rock-Kiste: Gitarre, Bass, Schlagzeug. Und jede Menge Pedals. Wer die Dame und die Herren mal live erlebt hat, kauft ihnen das jedoch sofort ab, zumal „Eroded“ eine enorme, schweißtreibende Energie in sich birgt. Diese Songs schreien förmlich danach, nach dem (hoffentlich vielleicht doch baldigen) Ende der Pandemie auf die Bühne gebracht zu werden.

Effekte bleiben ein Kernelement, auch auf „Eroded“

Diese Energie entlädt sich sehr gerne in Form von basslastigen Riffwänden, die von Drummerin Elwell in knackige Midtempo-Grooves eingefasst und nach vorne gepeitscht werden. Unterdessen bringt Tieftöner Knox das basslastige Fleisch auf die Rippen. „Blowdown“ kracht mit den oben erwähnten Legato-Riffs richtig offensiv nach vorne, bringt in der Bridge dennoch warme, erhabene Moll-Harmonien ins Spiel, ohne den Song aufzuweichen. „Flood“ setzt einen drauf mit einem fetten Stoner-Riff, das sich mit Bacon und Bier bewaffnet so richtig schön breitbeinig aus den Boxen wuchtet. Und irgendwie ist es LIZZARD gelungen, das Teil nahtlos mit einer Hook zu verknüpfen, die locker, fast unbekümmert groovt und bei der möglicherweise sogar Claps unter die Snare gehoben worden sind, einfach um das Ding noch funkiger klingen zu lassen.

Daneben – vermehrt in der zweiten Albumhälfte – sind LIZZARD auch etwas einfühlsamer unterwegs. So ist „Blue Moon“ semi-balladesk unterwegs, wobei die Hook hier schon die KYUSS-Gedenkgitarren auspackt und mächtig aufspielen lässt. Der Titeltrack hört sich wie eine Ballade frisch aus der Mojave-Wüste an, komplett mit vorsichtig angezerrten, voluminösen Gitarren, die fast ein bisschen in der Hitze zu flirren scheinen. Der Rausschmeißer „Avalanche“ beginnt ebenfalls zurückhaltend und melancholisch, wandelt sich aber etwa um die Mitte herum in einen heavy groovenden Rocker, der als Absacker noch mal ordentlich Erde aufwühlt. Dabei bleibt die Melancholie erhalten und wirkt beim treibenderen Part fast wie ein abkühlendes Lüftchen.

LIZZARD inszenieren einen hervorragenden, modernen Rocker

Wirklich, das einzige was man LIZZARD auf „Eroded“ zum Vorwurf machen kann, wenn man denn unbedingt was daran aussetzen möchte, ist, dass Ricous Gesang manchmal etwas mehr Volumen vertragen könnte. Vereinzelte Schnitzer in Sachen Zielgenauigkeit kann man auch entdecken, aber durch das schwer rockende Backdrop hat das fast schon wieder eine charmante Rotzigkeit inne, zumal er nach wie vor einen richtig guten Job macht – wohlgemerkt während er mit seiner Gitarre, seinen Loops und diversen Effekten jongliert. Ansonsten kann man LIZZARD zu „Eroded“ eigentlich nur gratulieren. Wer zeitgenössische Rock-Tropen in ein etwas beherzter zupackendes Gewand gesteckt wissen will, ist mit diesem modernen Rock-Album goldrichtig.

Die Entwicklung seit „Out Of Reach“ mag die Dame und die Herren vielleicht etwas weiter weg von ihren Experimental-Wurzeln geführt haben, aber „Eroded“ zeigt, dass diese Entwicklung Früchte getragen hat. LIZZARD klingen unverändert eigenständig, unverändert energetisch, aber deutlich fokussierter und weniger frickelig. Damit öffnen sie sich für all jene, die bislang keinen Zugang gefunden haben. Und nebenbei wuchten sie dabei einen Hit nach dem anderen aus der Erde. Die Franzosen bleiben also nicht nur die erdigere Alternative zu SOEN, sondern legen mit „Eroded“ erneut ein hervorragendes Album vor.

11.02.2021

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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