Lingua Mortis Orchestra - LMO

Review

Die Verschmelzung von Metal-Band und Orchester ist längst ein ganz alter Hut, wirklich neues ist in diesem Bereich nicht mehr zu erwarten? Pustekuchen! Ausgerechnet die altgedienten Recken RAGE, die seinerzeit mitverantwortlich für das Lostreten dieses Trends waren, erweisen sich erneut als Vorreiter und zeigen, wie man es richtig macht.

Noch nie harmonierten Band und Orchester so perfekt miteinander, standen absolut gleichberechtigt nebeneinander und setzten das klangliche Spektrum des jeweiligen Konterparts so fulminant in Szene. Natürlich zahlt sich hier die klassische Ausbildung und jahrelange kompositorische Erfahrung von Gitarrist Victor Smolski aus, dessen unverkennbare Handschrift man von früheren RAGE-mit-Orchester-Nummern wiedererkennt. Der Schritt, diese musikalische Stoßrichtung mit dem LINGUA MORTIS ORCHESTRA komplett von der Hauptband als reine Metal-Combo zu lösen, ist konsequent und verschafft den Musikern mehr Ellbogenfreiheit, die ihren kreativen Höhenflug beflügelt haben dürfte.

Wer nun glaubt, dass eine stärkere Betonung der symphonischen Komponente die Musik zwangsläufig softer oder gar leichter zugänglich machen müsse, der befindet sich komplett auf dem Holzweg. Die Unterstützung durch Bläser- und Streicher-Sektionen treibt den Härtegrad noch weiter in die Höhe und verleiht dem bissigen Riffing eine überwältigende Durchschlagskraft. Zudem sind die Kompositionen enorm komplex und vielschichtig, unzählige kleine Klangdetails laden den Zuhörer ein, sich in ihnen zu verlieren, während ohrwurmelige Melodien sofort zum Mitsingen provozieren.

Ebenfalls sehr gelungen ist die den Texten zugrundeliegende Konzeptgeschichte, die am Ende des sechzehnten Jahrhundert spielt und eine unschuldig als Hexe angeklagte und schließlich hingerichtete Frau und ihren Richter in den Mittelpunkt rückt. Dass Sänger Peavy dabei einen historisch belegten Fall aufgreift, macht die Sache angenehm greifbar und verhindert ein Abdriften in gleichermaßen ausgelutschte wie kitschverseuchte Mittelalter/Fantasy-Standardkost.

Ist „LMO“ also ein rundum perfektes Album geworden? Nicht ganz, denn so genial die Songs auch in Szene gesetzt sind, so wird man doch das Gefühl nicht los, dass an der einen oder anderen Stelle noch ein Quäntchen mehr drin gewesen wäre. Nach dem oberamtlichen Einstieg „Cleansed By Fire“ wirken „Scapegoat“ und „The Devil’s Bride“ eine Spur zu konventionell strukturiert, die Ballade „Lament“ wandelt gar gefährlich nahe an der Grenze zum Kitsch. Über den Victor-Smolski-Solo-Spot „Oremus“ hinweg steigt der Spannungsbogen mit „Witches Judge“ steil an, erreicht in „Eye For An Eye“ seinen Höhepunkt und definiert spätestens hier das Koordinatensystem der Orchester-Metal-Landkarte völlig neu. Die Reprise „Afterglow“ schlägt dann mit geradezu modern anmutenden musikalischen Elementen eine Brücke in die Gegenwart und dient als nachdenklicher Ausklang einer absolut beeindruckenden Scheibe.

Wo das LINGUA MORTIS ORCHESTRA diesmal noch nicht völlig makellos agiert, ist für die Zukunft doch Großes von den RAGE-Jungs und ihrer Orchester-Unterstützung (hier das „Orquestra Barcelona Filharmonia“) zu erwarten. Die gleichberechtigte Symbiose zweier musikalischer Welten ist bereits perfekt gelungen und glänzt mit fantastischen Melodien und einer Extraportion Härte gleichermaßen. „LMO“ ist ein wahrer Augenöffner bezüglich dessen, was im Band-plus-Orchester-Bereich noch möglich ist, das Ende der Fahnenstange ist offensichtlich doch noch nicht erreicht. Die gigantische emotionale Bandbreite der Stücke stellt schließlich das Sahnehäubchen auf einem außergewöhnlich schmackhaften Soundcocktail dar. Mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, dürfte die Konkurrenz vor schier unmöglich erscheinende Herausforderungen stellen.

25.07.2013
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