Black Metal mit symphonischen Elementen gibt es wie Sand am Meer. Das Gegenstück dazu – (Neo-)Klassik mit Black-Metal-Elementen – dürfte deutlich seltener im Umlauf vorkommen. Das ist eine potentielle Marktlücke, die der französische Musiker, schlicht bekannt unter dem Pseudonym Hazard (mit Z), mit „Livre Troisième“ nun bereits zum dritten Mal in voller Länge mit seinem Projekt LES CHANTS DU HASARD (mit S) ergründet. Im Schlepptau hat der Herr eine Reihe von GastsängerInnen, namentlich die Sopranistinnen Marfa Khovansky und Melitza Torres sowie Vaerohn (PENSÉES NOCTURNES) und Göran Setitus (u. a. SVARTGHAST). Über die Arrangements verrät die Presseinfo leider nicht viel, daher gehe ich an dieser Stelle von einem Orchester aus der digitalen Konserve aus [Auf der Bandcamp-Seite ist von „einem Orchester“ die Rede, leider wird es nicht viel spezifischer… Nachtr. d. Red.].
LES CHANTS DU HASARD verwebt Black-Metal-Elemente in ein orchestrales Gewand
Das ist nicht zu abwegig, da in jüngerer Vergangenheit mehrere Bands Hochqualitatives aus ihren Synths hervorgezaubert haben. Wie eingangs angedeutet ist die Vision hinter LES CHANTS DU HASARD der konsequente Umkehrschluss aus dem, was man gemeinhin als Symphonic Black Metal bezeichnet. Statt symphonischen Black Metal gibt es eben an klassischer Musik angelehnte Stücke, die sich aber die Atmosphäre, Finsternis und Kälte von Black Metal zu eigen machen. Das geschieht einerseits durch entsprechend düstere, gelegentlich chaotische Orchestral-Wogen, die immer wieder auf- und abebben, andererseits durch den regelmäßigen Einsatz der männlichen Sänger, die entweder klassisch schwarzmetallisch fauchen oder sich mit gespenstischem, gequältem Bariton unter die Musik legen.
Weniger schwarzmetallisch, dafür nicht weniger eindringlich muten die Sopranistinnen an, deren Gesangsbeiträge etwas sehr Unwirkliches an sich haben und so diese gotischen Horror-Vibes gekonnt transportieren. In „Chant VI – La Comptine“ erklingt sogar Kindergesang, der im musikalischen Kontext wiederum diese gespenstische Atmosphäre befeuert. Was die Kompositionen angeht, so blitzen immer wieder einige Melodien und Arrangements auf, denen man als Laie auf dem Gebiet der Klassik eine Entlehnung aus der klassischen Musik unterstellen möchte. Zum Glück verfängt sich LES CHANTS DU HASARD jedoch nicht in der neumodischen Trope, dass das gesamte Album wie ein einziger, nicht enden wollender Höhepunkt klingen muss.
„Livre Troisième“ ist eine düstere, an klassische Musik angelehnte Erfahrung
Es herrscht also eine Laut-Leise-Dynamik zwischen den Passagen um die Spannung aufrecht zu erhalten, sodass die einzelnen Motive von „Livre Troisìeme“ nicht im Bombast-Gulasch untergehen. Hazard verwebt diese in ein Klanggewand, das im Gesamten aufgrund der düsteren Vibes ein bisschen was von den Soundtracks der Souls-Serie bzw. von Bloodborne hat. Eine Passage zu Beginn der zweiten Hälfte von „Chant IV – Salve Regina“ oder zu Beginn von „Chant V – Les Milliers D’une Fois“ hat beispielsweise was von den sakraleren Stücken aus Dark Souls III (man denke zum Beispiel an den ersten Abschnitt von „Pontiff Sulyvahn“) mitbekommen, während die düstereren Motive überwiegen und öfter an den Score von Bloodborne denken lassen.
Hin und wieder scheint die Musik einzelne Dur-Harmonien einzubauen wie zum Ende des abschließenden „Chant VIII – Le Repos“, was definitiv einen interessanten Kontrast herstellt. Aber zum Großteil der Spielzeit ist „Livre Troisième“ doch in Moll gehalten. Ebenfalls nennenswert ist der Wechsel zwischen 4/4- und 3/4-Takt, meist im gemächlichen Tempo dargeboten aber deshalb nicht ohne Impulsivität daherkommend, ebenso wie die bereits weiter oben erwähnte Neigung zu den mitunter wüsten Klimaxen. Die zum Ende von „Chant V – Les Milliers D’une Fois“ beispielsweise hat entfernt was vom „Sturm“-Motiv von Rossinis „Guillaume Tell“-Ouvertüre.
Ein ungewöhnliches Highlight im Frühling
LES CHANTS DU HASARD ist hier wahrhaftig etwas Außergewöhnliches gelungen. Hazard findet immer wieder eine Weg, unter die Haut der Hörer zu gehen. Eine gewisse, kompositorische Geschlossenheit ist ebenfalls wahrzunehmen, besonders wenn „Chant VII – L’oubli“ gegen Ende das Motiv des eröffnenden „Chant I – Le Moine“ aufgreift und damit ins abschließende „Chant VIII – Le Repos“ überleitet. Den einzigen Kritikpunkt, den sich das Projekt gefallen lassen muss, ist eben, dass es mehr wie ein Film- bzw. Videospielscore denn wie eine Komposition aus der klassischen Musik klingt. Ansonsten hat LES CHANTS DU HASARD die Vision, Black-Metal-Atmosphäre nur mit Orchester (oder eben dem digitalen Replik eines solchen) einzufangen, mit Bravour gemeistert.
Allein der Mut mal über den Tellerrand hinauszuschauen und einen anderen Weg als den üblichen zu gehen verdient größten Respekt. Wenn das dann noch so gut umgesetzt wird wie hier kann man denk ich guten Gewissens auch mal die 10 geben.
Ich denke wenn Black Metal in der Zukunft noch eine Rolle spielen wird dann nicht als Haupteinfluss, sondern wie hier als stimmungsgebendes Gerüst für andere Musikstile. Ansonsten wird er die Zeit nicht überdauern, da bin ich mir sicher…
Gefällt mir ziemlich gut und erinnert mich an ELEND, was aber okay ist. So viel gibt es in dem Bereich ja nicht, also kann man den Innovations-Bonus noch geben. 😉 Das klingt auch alles stimmig und kompetent. In der Tat bin ich durchaus begeistert. Gleich mal notieren!
Grade mal etwas intensiver mit beschäftigt und ich muss sagen…. Ganz großes Kino! Wenn Tim Burton wieder mal einen Film für Erwachsene macht wird das der Soundtrack sein.
„Ansonsten wird er die Zeit nicht überdauern, da bin ich mir sicher“
30 Jahre hat es immerhin schon überdauert. ;))
Mochte Elend damals sehr, vor allem auch, weil es sehr Dark-Wave lastig war und eine starke romantische Note hatte. Das hier ist deutlich eher der (Neo-)Klassik zuzordnen. Gutes Teil, würde ich wohl aber nicht so oft hören.
Wenn man sich anschaut wie lang es bereits klassik, jazz oder auch rock gibt sind dreißig Jahre gar nicht mal so viel 😉
Das ist ja heute schon nur Nischenmusik… ich kann mir kaum vorstellen das Leute in dreißig, vierzig Jahren die so überhaupt keine Berührungspunkte mit den neunzigern hatten diese Musik auch nur im entferntesten verstehen werden.
„klassik, jazz oder auch rock“
Na ja, das sind ja keine Subgenres und eher auf einer Ebene, mit Metal im Allgemeinen.
Der old-school BM war eigentlich schon in den 90ern „veraltet“, weil das ein essentieller Bestandteil dieser Musik ist. Sie will alt, rauh, zeitlos klingen. Das was sehr schnell verschwinden wird, ist der BM, der heutzutage gespielt wird, weil er modern sein will, aber modern ist man nur für eine bestimmte Dauer, bis man überholt wird.
Das stimmt natürlich…
So gesehen ist Metal aber selbst nur ein stilistischer Nachfolger von anderen Musikrichtungen wie Hard- oder Bluesrock.
Das macht das ganze nicht bedeutender
Ich genieße das einfach im Hier und Jetzt. Was interessiert mich der kulturelle Status des Black Metal in ein paar Jahrzehnten, wenn ich vermutlich eh tot bin, oder sogar jetzt. Das Album ist hier, ich kann’s hören und gut is‘ das. Ich diskutiere auch gern‘ über sowas, aber eigentlich ist das redundant. Selbst wenn nie wieder ein Album erscheinen würde, welches mir gefällt, weil der Black Metal stirbt oder so, reicht das, was da ist, bis an mein Lebensende..
Man kann ja die Musik im hier und jetzt genießen und über deren Bedeutung, Gewichtung in der Musikhistorie philosophieren. Ist ja kein Widerspruch. ;))
Hast recht, zumal ich ja sogar sagte, dass ich gern‘ über sowas diskutiere. Vermutlich wurde ich wieder mal von meiner nihilistischen Grundhaltung übermannt und wollte einfach was in der Richtung äußern. Nötig war das nicht.. 😀 😉
Mich interessiert vorallem die Frage wie wird sich die Musik entwickeln, wie wird sich Metal verändern insbesondere Black und Death die ja nicht so sehr mit dem Mainstream verbunden sind wie andere Genres.
Gibt es in der Zukunft noch Thrash und Heavy Metal die eigentlich kein großes Potential haben sich zu verändern oder irgendwelche Subgenres hervorzubringen… oder stirbt das einfach irgendwann aus!? Fragen über Fragen
Das sind doch perfekte Fragen für unser allwissendes Orakel. Podcast, wir rufen Dich, erleuchte uns mit deiner unerschöpflichen Weisheit!
Wow, dann wüsste ich gern‘ den Sinn des Lebens vom Podcast, aber 42 gilt nicht als Antwort. lol
Wenn wir schon dabei sind…. Wie siehts mir den Lottozahlen für nächste Woche aus?