Leprous - Melodies Of Atonement

Review

Als LEPROUS Anfang der 2010er Jahre mit ihrem großartigen Drittling „Bilateral“ auf der breiten Bildfläche erschienen, zeichnete sich schon ein Stück weit so etwas wie eine neue Welle von Prog-Metal-Bands ab, die das Klangbild dieses Genres bestimmen sollten für die nächsten Jahre. Zusammen mit Bands wie HAKEN und CALIGULA’S HORSE bildeten sie so etwas wie die Speerspitze dieser Bewegung und zementierten ihren Status dann auch mit den Alben „Coal“ und „The Congregation“, Alben die das seltene Kunststück im Hinblick auf moderne Prog-Erzeugnisse schafften, die Meinungen der Metal-Welt mit jener der Prog-Szene weitestgehend in Einklang zu bringen – man kann sich für einen Auffrischer für die Art, wie sie das geschafft haben, nur mal Songs wie „Forced Entry“ oder „Third Law“ anhören.

Quo vadis, LEPROUS?

Und dann kam „Malina“ und langsam aber sicher wurde der Sound der Norweger, der bis dahin noch Komplexität und große Theatralik, nicht zuletzt dank Goldkehlchen Einar Solberg in Szene gesetzt, in einem verschmolz, durch einen deutlich vereinfachten Sound ersetzt. Für die Atmosphäre entschuldigt der durchschnittliche Metaller natürlich gerne solch drastische Abstriche, aber Prog-Fans verhungerten zunehmend am augenscheinlich voll gedeckten Tisch. Fragmente der früheren Tage blitzten zwar immer wieder auf, aber fortwährend nahm ein Fokus auf einfacheres Songwriting das Hauptfeld von LEPROUS ein. Und diese Entwicklung scheint mit der neuen Platte „Melodies Of Atonement“ nun ihre Vollendung erfahren zu haben: Die Norweger haben sich nun vollständig in eine moderne Pop-Band verwandelt.

Jetzt darf man berechtigterweise fragen, ob das was Negatives ist. Mit einem derart versierten Sprachrohr wie dem Solbergs, der in ähnliche Falsett-Sphären vorzudringen vermag wie ein Morten Harket, scheint es auf der Hand zu liegen, zugänglichen Metal zu spielen, der vollständig um seine Stimme kursiert. Und in dieser Hinsicht kann man den Norwegern auch uneingeschränkten Vollzug attestieren, denn „Melodies Of Atonement“ ist definitiv ein Album mit großen, dramatischen Gesangslinien und noch größeren Refrains, die Solbergs Stimme wie auf den Leib geschneidert inszeniert sind und die moderne Radio-Hörgewohnheiten mit Eleganz und Würde emulieren, dabei gelegentlich auch mit heavy Gusto aufspielen.

„Melodies Of Atonement“ ist ein Pop-Album

Hin und wieder versucht die Band mal, rhythmisch etwas Abwechslung hinein zu bringen, aber keiner dieser Kniffe sollte das durchschnittliche Ohr vor zu große Herausforderungen stellen. Der Opener „Silently Walking Alone“ wirkt auf den ersten Hör polyrhythmisch arrangiert, zumindest bis man merkt, dass hier wesentlichen nur ein 6/8-Rhythmus gegen einen rudimentären 4/4-Rhythmus läuft, was den Song aufgrund der seltsam anmutenden Rhythmik ein bisschen komplex wirken lässt. Ist jetzt auch nicht wirklich der große Brenner, wenn man’s erstmal durchschaut hat, aber der Versuch zählt in einem ansonsten schon recht transparent komponierten Album.

Transparent heißt in dem Falle, dass man als halbwegs routinierter Prog-Hörer ziemlich schnell durchschaut, wie der Hase läuft. Es ist eben im wesentlichen ein Pop-Album im Metal-Speckmantel, d. h. man trifft vorzugsweise im 4/4-Takt agierende Songs an, die mit einer kühlenden Melancholie-Schicht überzogen und unter Zuhilfenahme von atmosphärischen Synths und mal mehr, mal weniger prägnanten Gitarren aufspielen, aber in progressiver Hinsicht nur ein Schatten ihrer einstigen Selbst sind. Das macht das Album mit etwas emotionaler Distanz betrachtet lange nicht zu einem Stinker, zumal die Band auf „Self-Satisfied Lullaby“ durchaus noch mal originelle Ideen präsentiert. Hier schwebt Solbergs Stimme tatsächlich mal, untermalt mit flächigen Synths und elektrischer Perkussion, geradezu schwerelos dahin.

Genießbar mit einem lachenden und einem weinenden Auge

Aber man kann unken, wie man möchte: Am Ende des Tages steht eine mindestens solide Veröffentlichung, der es zwar langfristig an Abwechslung krankt, da fast jeder Track eine Midtempo-Nummer mit Fokus auf einen bombastischen Refrain ist, der dann am besten auch aus der Stille oder einer Ruhephase mit seichtem Synth-Geplänkel hervor explodiert. Kleine Nuancen wie ein paar beherzte Schreie in „Like A Sunken Ship“ lassen kurz mal aufhorchen, sind aber letztlich auch zu inkonsequent, um nachhaltig Eindruck zu hinterlassen. Man kann sich dennoch mit einem alles in allem ziemlich gut gemachten Album über die Enttäuschung hinwegtrösten, dass es die LEPROUS von früher wohl so in absehbarer Zeit nicht mehr geben wird.

27.08.2024

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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