Leprous - Coal

Review

Ich bin froh, dass es LEPROUS noch gibt und „Coal“ tatsächlich entstanden ist. Wer die Band schon live gesehen hat, wird sicherlich die gleichen Befürchtungen gehegt haben. Die Chancen stehen hoch, dass sich der Sänger bei seinen ruckartigen Bangbewegungen den eigenen Kopf auf seinem Keyboard spaltet oder die wild zuckenden Mitstreiter irgendwann tödlich auf der Bühne kollidieren. Live sind die Progressive Avantgarde Metaller aus Norwegen ein Hingucker, ganz gleich ob man mit der verwirrenden Musik etwas anfangen kann oder eben nicht. Das letzte Album „Bilateral“ erschien 2011 und geändert hat sich an der scheinbaren Desorganisation gar nichts, zum Glück!

Ich habe keinen blassen Schimmer davon, was in den Köpfen von LEPROUS vorgehen könnte und genau diese Tatsache macht die Musik so spannend. Es ist schlicht unmöglich, sich in den Kosmos von LEPROUS einzudenken und die Stücke vorauszusehen. Immer dann, wenn man sich als Hörer jetzt eine ganz bestimmte Schnelligkeit, einen Hook oder ein Riff ganz gut vorstellen könnte, kommen LEPROUS mit einer ganz anderen abstrusen Idee, die um Längen besser klingt. LEPROUS brechen sich keinen ab, um besonders anders oder wirr zu klingen, sondern genau diese Musik kommt einfach natürlich aus der Band raus. Schräg intensiv, immer progressiv, mal zaghaft, mal spaßig und häufig stampfend rockig – LEPROUS jonglieren gekonnt zwischen Knalltüte und Wundertüte, der Hörer freut sich und steht geplättet daneben.

Die Anarchie im Sound der Norweger ist natürlich nur scheinbar planlos, schnell kristallisiert sich das Talent von LEPROUS heraus. Derart vertrackte Strukturen müssen erschaffen werden, solch eine Bandbreite stimmlich abgedeckt werden und ganz besonders, so unbeirrt muss der neue seltsame Weg erstmal beschritten werden. LEPROUS vermitteln das besondere Bandgefühl, welches man sich als Hörer immer wünscht. Das Gefühl eine kreative Einheit mit einer gereiften Vision zu sein nicht nur optisch und live sondern auch auf Platte. Hier sitzt jeder Beat, jeder Griff und jedes Bandmitglied leitet seinen Beitrag für das ganz eigene LEPROUS Universum vorbildlich. Sänger Einar Solberg erinnert mich an Freddy Mercury von QUEEN, er vereint sich vollkommen mit der Musik und bei seinem Gesang hat man das Gefühl, dieser Mensch besteht ausschließlich aus Musik, die gerade jetzt frei aus ihm herausströmt und den Hörer ungebremst trifft. Deshalb kann er auch mühelos einige Lines mehrfach wiederholen, ohne nervig zu wirken und kann gerade balladeske Momente besonders gut singen. „The Cloak“ bringt meinen Körper zum Beben.

„Coal“ überzeugt im Vergleich zu „Bilateral“ mit noch ausgereifterem Songwriting und mehr nachhaltigen Hooks. Das Undergroundschätzchen konnte also getoppt werden. LEPROUS vermitteln mir als Hörer den Eindruck, vor einem diffusen Kunstwerk zu stehen. Ich hätte es nie so gemalt, verstehe es nicht und würde es mir niemals in meine Wohnung hängen, aber ich bin mächtig beeindruckt. Zwangläufig wird sich der Trend früher oder später auf sperrige Truppen wie LEPROUS zu bewegen. Genial!

23.05.2013
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