Lebensnacht - Syksyn Kuoleminen

Review

Nö. Immer noch nicht. Jetzt schiele ich schon zum dritten Mal durchs Fenster und sehe immer noch: das Gartenhaus. Daneben schlängelt sich links der Gartenschlauch durch den englischen Rasen, rechts ragt die Hecke halbmeterhoch in den Himmel. Goldliguster; war teuer. Ich sehe keinen Wolfsbau, keinen reißenden Strom, keine Bergwände. Und die Sonne lacht weiterhin, kein Schnee in Sicht – und Eis höchstens in Form von Cornetto Erdbeer. Der Grimme Schnitter ist weit.

Also schließe ich die Augen und vorher sicherheitshalber auch noch die Jalousien.

Jetzt sehe ich: nichts. Und ich schwitze. Aber Gemach, “Syksyn Kuoluminen“ (dt. Herbststerben), die neue Scheibe von LEBENSNACHT, die mich per Kophörer akustisch von der domestizierten Außenwelt isoliert, ist ja noch nicht mal zur Hälfte durch. Da geht vielleicht noch was im Kopfkino.

Nach einem Rilke-Gedicht geht mit “Welkes Leben“ genau genommen gerade mal der erste richtige Song seinem Ende zu. Auf ein geflüstertes Intro und melodiös-akustischen Beginn folgt der Ausbruch mit amtlich verzweifeltem Gekreische über  getragenen bis mittelschnellen Attacken der verzerrten Gitarre. Ohr und Hirn umpeitschen recht flächige, verwaschene, gewollt monotone und doch melodische 90er-BM-Riffwellen. Abschließend stapft jemand durch den Schnee, begleitet von Naturgeräuschen. Derart atmosphärisch wird es auch im weiteren Verlauf des Albums – hier peitscht der Wind, da schreit ein Kauz,  ganz dort hinten wird gebellt.

So. Ganz bisschen kälter ist es schon.

Dann kommen der quasi-Titelsong “Herbststerben“, das akustische Instrumental “Weiße Einsamkeit“, “Lebenswinter“, “Kuolema (Tod)“ und “Päättyminen (Ende)“. Es geht um die Natur und die Rolle des Menschen in dieser; im Zentrum stehen Herbst und Winter, damit Altern und Sterben. Es mag bereits geahnt worden sein.
Es geht ans Eingemachte; eine ordentliche Portion Pathos ist Ehrensache.

Musikalisch werden die genannten Elemente bis zum Ende nur minimal variiert: Leise Passagen, die bestimmt die Hälfte der Spielzeit ausmachen, werden den genre-typischen Eruptionen kontrastierend gegenübergestellt. Die Leadgitarre übernimmt  dabei auch im Lauten gern mal deutlich das Zepter, sodass sich die eine oder andere Melodie vielleicht gar im Kopf festzusetzen vermag.

Ende der Reise. Erneuter Test: Immer noch keine Gänsehaut. Dafür bin ich leicht schläfrig und vor dem inneren Auge fast gegen einen der vielen  verschneiten Bäume gedonnert. Die sind jetzt  überall – nur wo ist der Wald? Und was ist das Fazit?

“Syksyn Kuoleminen“ – warum eigentlich Finnisch? – ist nichts wirklich Neues, bei kleineren Ausnahmen aber doch recht schlüssig arrangiert und instrumentell solide dargeboten.
Robert Brockmann, der (Respekt!) als One Man Army hinter LEBENSNACHT steht, ist somit eine phasenweise griffige Depressive/Ambient-BM-Platte gelungen, die bei der Zielgruppe durchaus Anklang finden könnte. Ernsthaft. Dass in diesem Genre der – wie sagt man? – Rezeptionskontext  nicht ganz unerheblich ist, liegt auf der Hand. Als ich vor Jahren mal Urlaub in einer Berghütte in Norwegen gemacht habe, hätte das Gerät womöglich besser funktioniert. Da gab es kaum Menschen, dafür ´ne Menge wilder Viecher, aber andererseits wiederum nicht mal ´ne Gefriertruhe.

Sohnemann! Bring Vatter mal ein Cornetto! Was? Okay, Ed von Schleck geht auch. Das Leben ist kurz genug.

19.07.2013

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