Wir schreiben das Jahr 2021 – und eine der größeren Überraschungen in diesem noch jungen Jahr zumindest für unsereins ist das neue KORPIKLAANI-Album. Bei Anblick der Spielzeit war zunächst eine ähnlich durchwachsene Angelegenheit wie beim Vorgänger „Kulkija“ zu befürchten – aber nein. Das neue Werk „Jylhä“ ist eine spaßige Folk-Metal-Angelegenheit, trotz der Tatsache, dass die einstigen Spielleute weiterhin nach vorne schreiten und nicht zurückblicken. Keine Rückbesinnung, kein „Wooden Pints“, kein „Beer Beer“ (jedenfalls nicht außerhalb eines weitreichenden, internationalen Fanservice–Gags mit endlosen Features), kein „Happy Little Boozer“ und kein „Vodka“. Und trotzdem befördern die Finnen hier einiges an Hits hervor, die sogar haften bleiben.
Blick weiter nach vorn – und doch spielen KORPIKLAANI mit früher Stärke auf
Eigentlich hat sich klanglich im Gegensatz zum Vorgänger „Kulkija“ nicht viel geändert. Das Spiel auf Fiedel, Quetschkommode und Co. ist gleichbleibend lebhaft. Aber es hat den Anschein, dass produktionstechnisch wieder mehr auf einen härteren, metallischeren Sound gesetzt wird. Dazu zeigen sich KORPIKLAANI songschreiberisch wieder in besserer Form. Der Opener „Verikoira“ kommt hier schon mal vor Selbstbewusstsein platzend durch die Tür marschiert und legt mit kräftigen, heavy Riffs los. Der Track wird dahingehend vermutlich nur von älteren Krachern der Marke „Väkirauta“ ausgestochen. Der Song wandelt sich dann relativ schnell in ein bandtypisches, nervöses Hinkel um, kehrt aber regelmäßig zu seinem stampfenden Ausgangspunkt zurück.
Zum Glück wird die Sache nie zu unübersichtlich. KORPIKLAANI nutzen die längere Spielzeit einfach effizient aus, um etwas mehr Tiefe in ihre Songs zu bringen, wie in „Kiuru“, das seine stoische Rhythmik für die Hook in einen epischen, triolischen Marsch umwandelt. Daneben darf man sich auch an dramatischerer Kost erfreuen, zum Beispiel „Tuuleton“. Das ist ein Track, der sich angemessen Zeit nimmt, um auf eine grandiose, geradezu jubilierenden Hook hinzuarbeiten, die man trotz Sprachbarriere einfach mitgrölen muss. Einfachere, eingängigere Nummern zwischendrin bereichern das Hauptfeld. „Huolettomat“ klingt so, als hätten sich KORPIKLAANI ein paar Kniffe aus der Irish-Folk-Szene abgeschaut und sich zu eigen gemacht. Da setzt „Pidot“ noch einen drauf, ein seltsam Ska-artiger Folk-Kracher, den sich die Finnen unverschämt locker aus der Hüfte leiern.
Trotz seiner Länge hält sich der Ausschuss auf „Jylhä“ in Grenzen
Kurioses gibt es auch zu entdecken, namentlich „Sanaton Maa“. Der Track weist eine Melodieführung auf, als wären die Finnen vom 80er Stadionrock à la BON JOVI ausgegangen und hätten den Song einfach von dort ausgehend weiterentwickelt. Ist natürlich weniger auf Arenagröße aufgeblasen und deutlich folkiger unterwegs, aber auffällig ist die melodische Verwandtschaft schon. Mit der nicht gerade nach Arena-Bombast klingenden Hook muss man sich erst anfreunden, das klappt aber nach einigen Umdrehungen. Bei so einer Spielzeit entsteht allerdings zwangsläufig Ausschussware, wobei „Jylhä“ hier gut weggekommen ist – ein Grund mehr, warum das Album so überrascht. Der große Stinker der Trackliste – relativ gesehen – ist „Mylly“, ein traniger Downtempo-Song, der einfach nur wie eingeschlafene Füße klingt.
Ansonsten aber ist unsereins überrascht: „Jylhä“ ist eine starke Platte geworden, die ich so von den Finnen nicht mehr erwartet hätte, ohne dass sie vom Sound von „Kulkija“ merklich abgewichen wären. Es ist wie der Vorgänger ein Potpourri an verschiedenen Intensitäten, Stimmungen und Ideen, die sich mittlerweile im Klangbild der Finnen wiederfinden, weshalb sich „Jylhä“ vielleicht nicht unbedingt elegant in einem Arbeitsgang weghören lässt. Aber dafür kann man hier für nahezu jede Laune fündig werden, sodass das Teil tatsächlich mit der Zeit wächst. Ein Grower also, nicht gerade das, was man von KORPIKLAANI an sich erwarten würde. Aber tatsächlich besteht „Jylhä“ den Langzeittest.
(Fast) alles in Butter hier
Wer die Finnen kategorisch ablehnt, wird hier natürlich nicht glücklich, da KORPIKLAANI noch ganz wie sie selbst klingen und ihre Spielmannswurzeln nicht abschütteln (können), aller Entwicklung zum Trotz. Darüber hinaus läuft „Jylhä“ jedoch nach einiger Eingewöhnung hervorragend rein, hat die leichte Trockenheit späterer Werke der Band inne, ohne zu sehr auf den Schwung verzichten zu müssen. Der ist sicher nicht mehr jugendlich unbekümmert und unbegrenzt feierwütig, aber dennoch vorhanden, damit mehr als befriedigend und für den ein oder anderen Party-Banger zu gebrauchen. Lange Spielzeit und dadurch zwangsläufig entstehender Ausschuss hin oder her: „Jylhä“ geht schon schwerst in Ordnung, besonders für ein neuzeitliches KORPIKLAANI-Album.
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