Korn - Issues

Review

Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.

Galerie mit 22 Bildern: Korn auf dem M'era Luna 2017

Es etablierte sich ein früher Trend bei den Veröffentlichungen der kalifornischen Nu Metal-Formation KORN, zumindest was ihre erste Schaffensphase anging. Bis einschließlich „Take A Look In The Mirror“ sollten Jonathan Davis und Co. nämlich je zwei ähnlich klingende Album z. T. dicht aufeinander folgend veröffentlichen, die zwar nicht zwangsläufig konzeptionell, aber doch produktionstechnisch ähnlich waren. Der noch recht grobkantige Sound des selbstbetitelten Debüts wurde auf „Life Is Peachy“ fortgesetzt, auf „Untouchables“ sollte besagtes „Take A Look In The Mirror“ folgen. Und das hier zu besprechende „Issues“ hatte die schwere Aufgabe, den Mammuterfolg des Drittlings „Follow The Leader“ zu beerben.

Nu Metal feierte Hochkunjunktur – und KORN standen mittendrin

Zu dem Zeitpunkt hatte Nu Metal Hochkonjunktur und KORN waren neben anderen illustren Namen wie LIMP BIZKIT oder DEFTONES eines der Flaggschiffe, welches diese Fahne empor hielt. Der Erfolg des Vorgängers brachte natürlich den üblichen Produktionsdruck mit sich, dem die Kalifornier nun ausgesetzt waren. Kombiniert mit einer fragilen Seele, die Sänger Davis nun mal ist, hätte das Ergebnis unter anderen Umständen enttäuschend bis gar tragisch ausfallen können. Doch die Kalifornier stellten stattdessen „Issues“ auf die Beine, das seinen Vorgänger würdevoll beerben sollte und in gewisser Weise auch den quintessentiellenm klassischen KORN-Sound abzüglich allzu aufdringlicher Anbiederungen an zeitgenössische Trends auf den Punkt bringen sollte.

Ordentlich Starthilfe gab es hier mitunter auch durch eine von MTV organisierten Promo-Aktion in Form eines Gewinnspiels, bei dem die Fans der Band das Coverartwork für „Issues“ designen durften. Der Gewinner war ein Herr Alfredo Carlos, dessen Design – offenbar eingereicht via Pizzakarton, weil die Neunziger nun mal so waren – das offizielle Albumartwork stellen sollte und dafür neben einer Signing-Session zusammen mit der Band noch ein ordentliches Preisgeld einsacken durfte. Doch es gab noch weitere Designs, die der ursprünglichen CD-Edition ebenfalls beiliegen sollten, sodass die Runner-Ups ebenfalls geehrt wurden, wenn auch indirekt:

Korn Issues Cover Contest

„Issues“ brachte mehr Schwere und mehr Atmosphäre

Jedenfalls war das eine durchaus clevere Art des Marketings und und hielt die Band effektiv im Gespräch in einer Zeit, in der das Musikfernsehen noch hohe Relevanz hatte. Eine weitere Strategie der Band, die offenbar ziemlich stolz auf das Ergebnis gewesen ist, war es, den Song „Falling Away From Me“, der als Single ausgekoppelt worden ist, als kostenfreien mp3-Download zur Verfügung zu stellen, etwas, wogegen sich die Anzüge hinter der Band natürlich komplett gesträubt haben. Aber das sollte ein wiederkehrendes Thema der Band sein, die bekanntermaßen sogar mal eine Single mit Anti-Single-Message veröffentlicht haben – was auch immer man davon halten mag.

Klanglich setzte „Issues“ auf einen ähnlich knackigen Sound wie sein Vorgänger, fiel also zumindest dahingehend in den oben angerissenen Trend hinein. Doch was das Liedgut anging, so war der Unterschied zwischen diesen beiden Platten schon relativ deutlich. „Issues“ wurde von der Band selbst als heavier und simpler gestrickt bezeichnet als die vorherigen Releases. In gehörter Form heißt das, dass die Band durchaus melodischer und schwerer klingt, das aber mit einem ordentlichen Fokus auf eine eigentümlichen Atmosphäre wiederum interessant macht. Es ist längst nicht so vernagelt und deprimierend wie das Debüt, wobei die psychischen Probleme des Fronters immer noch die gleichen sein sollten.

Mit Intermezzi wurde ein interessanter Hörfluss hergestellt

„Issues“ klingt wie sein Vorgänger deutlich offener, straffer und zugänglicher als die beiden ersten Platten, aber unverändert durchschlagskräftig und sinister mit gerade genug Vocal-Cheese, um die Sache nicht zu trocken werden zu lassen. Fette Grooves sind eine der definierenden Charakteristika dieser Veröffentlichung, zusammen mit den üblichen KORN-Signaturelementen wie Fieldys Bass und den mal derb bretternden, dann wieder gespenstisch jaulenden Gitarren von Brian Welch und James Shaffer. Weitere Elemente sind der Einsatz des Dudelsacks im einleitenden „Dead“, die gelegentlich zur Verwendung kommenden Elektronica wie der Beat von „Make Me Bad“ oder die kreischenden Synths, die in der Bridge von „Wake Up“ auftauchen.

Ein distinktives Markenzeichen von „Issues“ im Speziellen sind immer wieder kurze Intermezzi, die zwischen den einzelnen Songs eingeschoben sind und den Fluss des Albums ziemlich kompetent am Laufen halten. Das kann von der fast FLOYDigen Atmosphäre eines „4U“ über den THIS HEAT-artigen Noise eines „It’s Gonna Go Away“ unter dem wie ein Mantra heruntergebeteten Titel bis hin zur ebenfalls wie ein Mantra wiederholten Zeile „All I want in life is to be happy“ des eröffnenden „Dead“ reichen. Diese Momente lassen schon einen tiefen Blick in die nach wie vor zerrüttete Seele des Sängers erahnen, auch wenn es nicht ganz so ungeschönt und unbequem wirkt wie noch auf dem Debüt. Es ist eben zugänglicher gestaltet.

Damit nutzten die Kalifornier den Aufwind auf kreative Weise …

Und die eigentlichen Songs? Dem Vorbild von „Follow The Leader“ folgend setzen KORN hier auf große Hits, die „Issues“ auch in Massen liefert. Die zu Beginn platzierte Single „Falling Away From Me“ ist schon ein ordentlicher Aperitif mit seiner offensiv groovenden Art und einem Refrain, der sich sofort in den Hirnwindungen festsetzt. Dem folgt mit dem ominös stampfenden „Trash“ direkt eines der dickeren Ausrufezeichen der Platte, das sich dank eines fast durchgehenden Beats ohne Umwege direkt in die Nackengegend einarbeitet. „Beg For Me“ reiht sich praktisch nahtlos in diese Riege ein mit einem Refrain, der seine Hörerschaft für mindestens die nächsten Stunden nach Konsum verfolgen wird.

Im weiteren Verlauf geben sich KORN kaum die Blöße, wobei der Fokus auf mehr Atmosphäre schon relativ deutlich ist, aber durchaus sinnig im Songwriting berücksichtigt wurde. Das durchschlagende „Wake Up“ wirkt zum Beispiel nur deshalb so erderschütternd, weil die heftigen Passagen durch einen geradezu ruhig pulsierenden Vers-Abschnitt kontrastiert werden – ein alter Trick in Sachen Erzeugung von Dynamik, aber es funktioniert eben immer wieder, wenn man es denn richtig macht. „Let’s Get The Party Started“ wendet den Trick noch einmal an, ein bisschen anders aber nicht minder effektiv. „Somebody Someone“ bremst für den finalen Refrain das Tempo empfindlich herunter, was die in dem Song ohnehin schon lautstark heraus gebrüllte Verzweiflung umso mehr befeuert.

… und schufen ein quintessentiell nach den klassischen KORN klingendes Werk

Im Grunde kann man das Ding easy in einem Rutsch durchhören, ohne empfindlich über einen Song zu stolpern. Möglicherweise ist ein „Counting“ ein bisschen farblos und „No Way“ scheint auf den ersten Blick ebenfalls darunter zu leiden, rettet sich aber mit einer sensationell stimmungsbetonten Bridge und einem darauf folgenden, klimaktischen Refrain in den „Issues“-Olymp. Also sollten KORN recht behalten, wenn sie damals so aufgeregt waren, um „Issues“ unters Volk zu bringen. Zeitgenössische Kritiken unterstellten der Platte damals eine gewisse Trägheit durch den Fokus auf Stimmung, der damals wohl noch nicht so hoch geschätzt war wie heute.

Doch die Konsistenz hinter „Issues“ sollte dafür sorgen, dass dieses Release die Zeit überdauern und kaum etwas von seiner Klasse einbüßen würde. Es macht nach wie vor Spaß, dieses Album von vorn bis hinten durchrotieren zu lassen und der Fremdschämfaktor, der seit „Welcome To The Other Side“ regelmäßig im Sound der US-Amerikaner Einzug halten sollte, war hier noch ein Ding der fernen Zukunft. Eines hatte „Issues“ seinem Vorgänger natürlich voraus: Vor dem eigentlichen Album musste sich man nicht erst durch 12 leere Tonspuren skippen, sondern kam direkt bei des Pudels Kern an. Nicht, dass man davon in den heutigen Zeiten von Streaming-Services noch sonderlich viel mitbekommen würde …

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06.11.2024

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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