Kopek - White Collar Lies

Review

Was machen zwei irische Schulfreunde, die mitten in den Straßenschluchten Dublins aufgewachsen sind, wo es 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche regnet, wo man praktisch jeden Abend besoffen ist und am Ende ganz automatisch zu singen anfängt? (Das alles übrigens nach eigener Aussage der Musiker – interessant, dass die Iren sich selber auch so sehen!)
Richtig: Sie lernen Instrumente, ziehen durch die Pubs, schreiben ihre Songs, lassen sich sowohl durch die Klassiker des US-amerikanischen Rock’n’Roll als auch von irischen Bands wie THE DUBLINERS und U2 inspirieren (letzteres hauptsächlich auf textlicher Ebene) – und landen mal eben auf dem amerikanischen Kontinent. Bassist Brad Kinsella dazu: „Wir sind mit einer Menge großer Bands wie Hinder, Seether und Papa Roach sowie Saving Abel in Mittelamerika getourt. […] Die hatten einen völlig anderen Ansatz zur Musik als wir. Wir haben keine raffinierten Tricks; wir gehen einfach nur raus und spielen – so wie man das in den 60ern und 70ern gemacht hat. Keine Samples, kein Bullshit. Die Musik ist heutzutage einfach völlig verwässert.“

Diese Attitüde, die in ihrer tiefen Verbeugung vor der alten Schule so konsequent ist, dass sie ironischerweise schon wieder frisch rüberkommt, hat KOPEK – mit Kinsella am Bass, dessen Kumpel aus Kindheitstagen, Daniel Jordan, als Sänger und Gitarrist sowie Sessionmusikern – dann nicht nur einen Platz auf dem Soundtrack zum Abschlussfilm der „Saw“-Reihe eingehandelt, sondern gleich auch einen Vertrag beim international agierenden Label Another Century (unter dem Banner von Century Media), über das vor einigen Tagen das Album „White Collar Lies“ erschienen ist. Darauf gibt es dann auch gemäß der Bandphilosophie keine großen Mätzchen, sondern einfach erdige, bodenständige Rockmusik zu hören, die mal eher an den Hard Rock der Siebziger, mal eher an modernen Alternative Rock erinnert, diese beiden Pole aber schön homogen miteinander verschmelzen lässt und genau darin seine besondere Stärke hat: Zwar ist die Idee, klassischen Hard Rock mit moderneren Spielarten zu vermengen, auch alles andere als neu, aber hey – im Fall von KOPEK klappt das einfach verdammt gut. Hinzu kommt der coole Oldschoolspirit, aber auch die lyrische Orientierung an den sozialkritischen, aussagekräftigen Texten der beiden oben genannten Vorbilder aus der irischen Heimat ist als eine der Stärken von „White Collar Lies“ zu nennen.

So haben KOPEK dann auch eine ganze Wagenladung einfach guter Songs am Start: Der bereits erwähnte Opener „Love Is Dead“, der auch schon auf dem „Saw 3D“-Soundtrack zu hören war, besticht durch seinen von amerikanischer Wüstenluft geschwängerten Vibe, seine intensiven Vocals und seinen äußerst tanzbaren Refrain. Der fette, eingängige, aber trotzdem irgendwo melancholische Rocker „Cocaine Chest Pains“, der so klingt, als sei er gleichzeitig von NIRVANA, QUEENS OF THE STONE AGE, ZZ TOP und LED ZEPPELIN inspiriert worden (bei der langen Liste an Bands, die die Band als Einflüsse nennt, wahrscheinlich gar nicht mal so weit hergeholt), zeigt, dass KOPEK damit vor allem eines wollen: die Tanzflächen füllen. Der Titelsong des Albums lässt es etwas ruhiger angehen und beweist, dass KOPEK sich auch bei leisen Tönen nicht verstecken müssen, vor allem der intensive, rauhe, aber gleichzeitig auch melodische Gesang von Daniel Jordan kommt hier erst so richtig zur Geltung.

Die größte Überraschung ist aber eigentlich, dass KOPEK es schaffen, das alles immer noch homogen zu halten, die Stile wechseln sich nicht ab und ergeben einen wirren Mischmasch, sondern ein schönes, rundes Ganzes. Zumindest fast. Denn so geil ich die Musik der Band auch finde, komme ich nicht umhin zu erwähnen, dass die zweite Hälfte des Albums ein bisschen nach Füllmaterial klingt. Der Eindruck mag bei mir zum einen dadurch geweckt werden, dass die Band hier ganz scharf die Bremse zieht, ihr Augenmerk auf ruhige, balladeske Songs legt und kaum noch so rockt, wie auf der ersten Hälfte der Scheibe. Aber wenn unter den letzten fünf Songs eines Albums nur ein rockiger dabei ist, macht das eben stutzig. Ob man hier doch ein bisschen berechnend vorgegangen ist, um auch Airplay im Mainstreamradio zu bekommen? Mag sein.

Die erste Hälfte des Albums überzeugt mich derart (und die Band selbst ist mir auch derart sympathisch), dass ich es kaum über’s Herz bringe, die entsprechenden Punkte abzuziehen – aber die zweite Albumhälfte haut eben merklich weniger vom Hocker, die letzten drei Songs (die allesamt einen stark balladesken Einschlag verlauten lassen) wären vielleicht gar nicht so negativ aufgefallen, wären sie besser über das ganze Scheibchen verteilt worden, so jedoch wirken sie – relativ und im Kontext des restlichen Albums gesehen! – langweilig und berechnet. Schade, schade.

Trotzdem ist „White Collar Lies“ ein gutes Album, das sich seine Wertung im oberen Bereich durch ausdrucksstarke Texte, durch eine coole Melange aus Oldschool und Newschool Rock, durch so manches fette, fette Riff und so manchen fetten, fetten Refrain redlich verdient hat – und auch durch so manchen sehr emotionalen balladesken Song. Letztere nehmen eben für meinen Geschmack nur zu viel Platz auf dem Album ein.

05.06.2012
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