Kontinuum - Kyrr

Review

Es gibt immer mal wieder Alben, bei deren Genuss ich mich frage, wieso ich eigentlich nicht schon vorher etwas von der jeweiligen Band gehört habe. KONTINUUMs Zweitling „Kyrr“ ist so ein Album – auch wenn mir der Name irgendwann einmal schon über den Weg gelaufen war, das Debut „Earth Blood Magic„, das anerkennende Sieben-Punkte-Kopfnicken vom Kollegen Möller sowie die offenbar gern herausgestellte mehr-als-nur-geografische Nähe zu SÓLSTAFIR waren mir entgangen; zumindest bis ich „Kyrr“ gehört hatte. Ich muss zugeben, dass ich auch in dem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, noch nicht in den Genuss des Vorgängers gekommen bin und mir daher keine historische Einordnung „Kyrr“s gelingen kann – das macht aber nichts, denn die acht Songs sind auch werk-immanent derart stark, dass KONTINUUM auf „Earth Blood Magic“ meinetwegen totalen Mist hätten abliefern können: „Kyrr“ ist so oder so ein exzellentes Album.

Würde ich jetzt an dieser Stelle allerdings auf den Zug aufspringen und KONTINUUMs Landsmänner SÓLSTAFIR als musikalische Paten herausstellen, wäre das gleich zweifach gewagt: Einerseits würde ich der knappen Dreiviertelstunde „Kyrr“s in keiner Weise gerecht; andererseits wäre eine solche Einordnung ziemlich irreführend – wenngleich SÓLSTAFIR aus dem musikalischen Kosmos des Fünfers nicht wegzudenken sind. Dort befindet sich aber noch viel viel mehr, das „Kyrr“ diese enorme atmosphärische und musikalische Stärke zu verleihen mag.

Ich sträube mich ein wenig, „Kyrr“ als Metal-Album zu bezeichnen – aber was ist es dann? Eine erste Näherung kann vielleicht darin bestehen, sich das Aufeinandertreffen von Post Punk, späteren und ruhigeren SÓLSTAFIR (ich sagte es ja: Ganz ohne geht es nicht…) und KATATONIAs „Viva Emptiness“ vorzustellen. Darin mag ein vermeintlicher Widerspruch stecken, wenn man sich „klassischen“ Post Punk oder die etwas modernere Variante aus dem Hause BEASTMILK (oder auch „Dagmál“ vom letzten Album „Ótta“, um nochmal die SÓLSTAFIR-Sau durch’s Dorf zu treiben…) vorstellt – und damit die Schwere des genannten KATATONIA-Albums kombinieren soll. Genau das ist es aber, das „Kyrr“ so ungemein spannend und emotional so fordernd macht: KONTINUUM schaffen es scheinbar spielend, treibende Dynamik mit atmosphärischer Tiefe und vor allem Schwere zu verknüpfen. Wie gut das funktioniert, wird bereits im Opener „Breathe“ klar, der mit enormen Groove daherkommt und dennoch eine feine und tiefe Melancholie transportiert, die mich sofort in ihren Bann zieht.

Diese melancholische Tiefe setzt sich auch in den folgenden Songs fort – KONTINUUM haben jedoch noch mehr zu bieten als „nur“ die meisterhafte Kombination aus Dynamik und Schwere: Die Arrangements der Stücke demonstrieren Gespür für Klang; der Aufbau und die Dramaturgie der Songs zeigen eindrucksvoll die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen; der Umgang mit synthetischen Elementen – man höre sich nur den Moog in „Red Stream an! – beweist künstlerische Integrität. Abgerundet wird „Kyrr“ durch den berührenden Klargesang Birgir Thorgeirssons und die glasklare Produktion. Damit bleibt eigentlich nur eine Frage offen: Warum können mir solche musikalischen Juwelen nicht häufiger über den Weg laufen?

18.04.2015
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