Koenix - Us Em Gjätt

Review

Für reine Mittelalterbands ist der Markt in Deutschland im wahrsten Sinne des Wortes eng geworden. Und was alteingesessene Bands wie ESTAMPIE oder GEYERS den vielen Truppen, die sich um 2000 formierten, weit vorraus hatten, war der ideelle Grundsatz, ihre Musik nicht durch moderne Instrumente verwässern zu wollen. Andere Bands, wie SALTATIO MORTIS, oder CORVUS CORAX / TANZWUT sahen das hingegen anders, und versuchten sich sowohl auf Mittelalterfesten, als auch in großen Rockhallen durch einen umfangreichen Backkatalog aufzustellen. Damit haben sie ihrem Genre aber als plugged- und unplugged-Band mitunter aber qualitativ sehr stark schwankende Offerten gemacht: Ich denke immer noch mit Grausen an den Moment zurück, als sich etwa SCHELMISCH dazu entschlossen, verzerrte Powerchords unter ihre Nummern zu schreiben. Insofern war ich sehr gespannt auf KOENIX, das unplugged-Projekt von DES KOENIGS HALUNKEN, die 2010 mit „Irrfahrt“ das beste Rock-Mittelalteralbum seit Jahren rausgehauen haben, und sich jetzt auch marktfein machen wollen.

Und man muss der Band bei den 13 Nummern auf „Us Em Gjätt“ erstmal lassen, dass fast alle davon entweder selbstgeschrieben oder zumindest bearbeitet wurden, und man es ihnen nicht wirklich anhört. Ich bin zwar nicht Musikhistoriker genug um die Gretchenfrage beurteilen zu können, in wie weit die Kompositionen so auch im Mittelalter hätten gespielt werden können, aber mit den Neubearbeitungen von Renaissance-Liedgut der letzten Jahre kann sich das Material definitiv messen. Und noch besser: Weil auf der Platte wenig gecovert wurde, ist auf ihr ein Abwechslungsreichtum zu finden, den man auf anderen Marktmusikzusammenstellungen nur selten hat. Wenn der groovig tanzbare „Figechünig“ auf einen schwedischen Walzer, und anschließenden mit der Eigenkomposition „Dr Senseriis“ auf mystisch-flotten Fanservice trifft, hat das einfach einen echt großen Unterhaltungswert.
Dennoch zehrt genrebedingt etwas an den Nerven, dass Dudelsäcke und Schalmeien über eine sehr eingeschränkte Akkordspanne verfügen, und der erste Exkurs in Gesang und Busuki mit dem schwedischen „Varvindar Friska“ kommt mir an achter Position etwas spät. Immerhin werden dann mit Flötensoli und ohrwurmigen Chören aber auch alle Register gezogen, und man ist fast etwas enttäuscht, wenn es dann mit „Frisch Fröhlich Wei Mir Singe“ wieder mit „normalem“ Dudelsackgut weitergeht. Das anschließende „Etre Sur Soleure“ könnte aber wieder ein gutes SCHANDMAUL-Instrumental sein. Und mit dem sehr mystischen „Tanz vo de Lüchtchäfer“ im Dreivierteltakt und dem melancholisch gesungenen „Drum Mues I Witerzieh“ (mit den größten Anleihen an den Stil der KOENIGS HALUNKEN) hat man sich nochmal zwei der stärksten Nummern zum Schluss aufgehoben.

Die Probleme an „Us Em Gjätt“ sind in erster Linie genrebedingt, und wer es hinbekommt, sich ganze Marktmusikplatten am Stück daheim anzuhören ohne Kopfweh zu bekommen, kommt an der Platte eigentlich nicht vorbei. Dennoch wird es KOENIX nicht gelingen, mit dem Debüt große Akzente zu setzen, dafür fehlt entweder ein absoluter Übersong (wie „Heptessenz“ auf dem gleichnamigen SALTATIO MORTIS Album) oder ein musiktheoretischer Zugang mit angehängter Instrumentenbauerei (CORVUS CORAX). Wer also erhofft hat, dass KOENIX dasselbe will wie DES KOENIGS HALUNKEN, nämlich mit innovativen Elementen das eigene Gerne zu revolutionieren, wird enttäuscht werden. Alle anderen bekommen aber immer noch eine echt gute Platte, deren Qualität in einer Zeit immer weniger reiner Marktmusikveröffentlichungen nicht zu niedrig angesetzt werden darf.

12.01.2011
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