Knorkator - Sieg der Vernunft

Review

„Die Zeichen sind eindeutig, bald ist es so weit. Die Türen sind verschlossen, die Ampel steht auf rot“ sangen KNORKATOR anno dazumal im Jahre 2006 nichts ahnend, dass der meisten Band der Welts prophetische Worte heute aktueller sind als je zuvor. Doch liebe Kinder seid nicht verzagt, denn noch besteht Hoffnung, Hoffnung darauf dass der „Sieg der Vernunft“ über die Menschheit anheim fährt und wir alle noch das Ruder herumreißen können. Wenn nicht, haben wir ja da noch das neueste musikalische Œuvre der Berliner Kultband KNORKATOR.

Die Welt wird nie wieder so, wie sie vorher war

Mit dieser Weisheit leiten Stumpen und Co. KG ihr elftes Werk „Sieg der Vernunft“ (das zufälligerweise auch elf Songs umfasst – ein Wirken der Freimaurer?) ein. Und besser könnte dieser Songtitel für das gesamte Album gar nicht ausfallen. Denn nach diesem Album ist für die Hörer nichts mehr so, wie es einst gewesen ist. Dieses Mal werden nicht nur die Lachmuskeln in gewohnter Manier beansprucht – nein, die von Alf Ator verfassten lyrischen Ergüsse regen dieses mal auch zum Denken und Reflektieren an. Denn mit „Sieg der Vernunft“ zeigen sich KNORKATOR jetzt auch von ihrer politik- und sozialkritischen Seite. Und dieses Outfit steht ihnen erstaunlich gut. In den Songs von „Sieg der Vernunft“ um reinen Blödelkram, sondern ausnahmsweise um ganz irdische, reale Reflexionen unseres aktuellen Weltgeschehens. Natürlich haben sie es trotzdem geschafft, bei Schusters bekannten Leisten zu bleiben.

Ein Ende vom Anfang

In „Die Welt wird nie wieder so, wie sie vorher war“ etwa geht es (wie bei dem Film „Don’t Look Up“) um einen auf die Welt zurasenden Meteoriten. Doch nimmt die Menschheit diese Bedrohung ernst? Im Gegenteil versucht diese sogar die Bedrohung noch gewinnbringend zu vermarkten und macht buchstäblich aus Scheiße Gold. Mit dem Titeltrack „Sieg der Vernunft“ könnten sie die aktuellen Konfliktherde auf dieser Welt und ihre teilweise hanebüchenen Hintergründe eigentlich kaum besser beschreiben. Musikalisch gehen KNORKATOR hier schon fast auf ein Niveau mit DIE APOKALYPTISCHEN REITER, und man möchte fast meinen, dass das Lied – wäre da nicht Stumpens unverwechselbarer Gesang – von ebendiesen stammen würde. Ein Song, der mit großer Sicherheit bei der kommenden Tournee für Abriss sorgen wird. In „Der Hofstaat“ (ist das Buzz Dee am Gesang?) geht es dagegen um die Festung Europa und die Dekadenz der europäischen Wohlstandsgesellschaft gegenüber den sozial schwächeren Menschen. So kennt man KNORKATOR fast gar nicht.

Melankator

Nun ist es ja kein Geheimnis, dass KNORKATOR nicht nur J.B.O like (ist das schon Häresie?) nur mit Blödelsongs überzeugen können. Allein mit „Weg nach Unten“ haben sie bewiesen, dass sie auch tragische Melancholie wie kein zweiter meistern können. Und auch wenn „Ihr habt gewonnen“ nicht ganz in die Nähe ihres Klassikers kommt, so trifft der Song auch hier jeden noch so harten Kern und ist der Song, der hier am meisten zum Nachdenken anregen wird. Schließlich behandelt „Ihr habt gewonnen“ das Thema Einsamkeit in einer von digitalen Geräten dominierten Welt. Oder mit anderen Worten inwiefern uns Smartphones vortäuschen, dass wir die Welt in den Händen halten, aber uns trotzdem oder genau deswegen immer mehr von der eigentlichen Welt isolieren. Aua.

Alf Ator trägt jetzt Blond

Um die Stimmung wieder etwas aufzulockern, folgt dann ein für KNORKATOR typischer Coversong. Für „Sieg der Vernunft“ hat sich Alf Ator den BLONDIE-Klassiker „One Way Or Another“ ausgesucht. Ein Stück, dessen Thematik perfekt in das Konzept des gesamten Albums passt und im Grunde nahezu an „Ihr habt gewonnen“ anknüpft. In dem Original verarbeitete BLONDIE -Sängerin Debbie Harry einen Brief, den sie von einem Stalker erhalten hat. Das Narrativ wird hier nur dank Alf Ators männlichen Gesang umgekehrt, wodurch der Text eine ganz neue Wirkung erzielt. Im Kontext des Albums könnte der Song in doppelter Bedeutung auch mühelos als Kritik auf die digitale Überwachung von allen Seiten verstanden werden (siehe Vorratsdatenspeicherung). Kritisch geht es dann mit „Milliardäre“ um eben die ganzen Bezos, Musks und Co., die nach KNORKATORs Ansicht überflüssig sind und es doch besser sei, dass sie „nur“ Millionäre wären. Dann bleibt eben auch genug für den Rest der Welt übrig. Lyrisch zwar keine hohe Kunst, dafür aber verdammt eingängig und mit Sicherheit ein weiteres Highlight für die kommenden Shows.

Tod und Verderben – Aber nicht für KNORKATOR

Abwechslungsreicher gestaltet sich dagegen das fast schon kinderliedartige „Tut uns leid“. Eine musikalische Entschuldigung für alle kommenden Generationen, die mit den Folgen unseres Handelns (Klimawandel, Nahrungsmittelknappheit etc.) leben müssen. Tja, ciao Kakao. Abstrakter geht es dann auf „Es lebe der Tod“ zu, dessen Text jedem zur Interpretation freigegeben ist. Stilistisch jedoch der härteste Song des Albums, und fast möchte man hier RAMMSTEIN? fragen.

Instrumentale Katermukke

Musikalisch haben KNORKATOR hier bisher über acht Songs hinweg absolut metallegierte Bretter hingelegt, die auch die Herzen vieler Neue-Deutsche-Härte-Liebhaber höher schlagen lassen werden. Die Berliner haben hier doch tatsächlich ihr härtestes und vielleicht spannendstes Album ihrer Karriere vorgelegt. Wer nun eine kleine Pause von all dem hier zitierten Elend braucht, kann sich dann etwas von dem folgenden Song und seiner Piano-Melodie treiben lassen… Wären es nicht KNORKATOR, die natürlich auch hier noch für einen Twist sorgen. Denn in dem instrumentalen „Menschenfleisch“ wird ganz eigenes Kopfkino gestartet (ich sage nur Kannibale von Rothenburg). Das größte Highlight von „Sieg der Vernunft“ heben sich KNORKATOR jedoch fast bis zum Schluss auf. Denn das wortspielartige „Knurrkater“ (ja, richtig gelesen) lässt bei all dem Ernst, der die vorangegangenen Songs begleitet hat, endlich wieder die KNORKATOR (ähh, den Knurrkater) aus dem Sack. Kein Wunder, schließlich stammt das hochlyrische Werk dieses Mal aus der heiligen Feder von Stumpen höchstselbst. Mit anderen Worten: Statt reinem Gesang wird der Song hier von einem knurrenden Kater begleitet. Für diesen Humor lieben wir doch unsere Berliner. In ebenso KNORKATOR-typischer Manier erklingt das finale „Augen zu“. Balladesk, aber doch düster verstörend lassen uns KNORKATOR dann nach 40 Minuten ungewohnt nachdenklicher musikalischer Ergüsse wieder mit der Welt alleine. Doch wozu gibt es den Repeat-Knopf.

Freunde physischer Tonträger sollten sich hier auch nochmal besonders freuen. Denn KNORKATOR haben sich mit dem Digipak besonders viel Mühe gegeben. Jeder Song wurde von dem Grafiker Herr Buchta individuell gestaltet, und es gibt noch zahlreiche Bonusgrafiken zu sehen. Ebenjener Herr Buchta hat es sich dann auch nicht nehmen lassen, die kommenden Vinyl-Releases zu allen bisherigen KNORKATOR-Alben neu zu gestalten.

26.09.2022
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