King Crimson - Red

Review

Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.

Wie bei sicher nicht wenigen anderen, welche die klassischen Alben nicht als Zeitzeuge miterleben konnten, hat mein Interesse für KING CRIMSON bei deren legendären Debüt begonnen, gleichzeitig ein Produkt seiner Zeit und derselben doch meilenweit voraus. Wie die Band hier einerseits Grenzen gesprengt hat wie mit dem legendären Opener „21st Century Schizoid Man“, das von einem heftigen Rocker in einen Bebop-Part und wieder zurück wechselte (und gefühlt unzählige Male gecovert worden ist), andererseits elegische Momente von purer, musikalischer Schönheit der Marke „Epitaph“ in die Welt setzte, muss damals zweifellos musikalische Wände in den Köpfen der zeitgenössischen Hörer gesprengt haben, etwas das sich unsereins nur vage vorstellen kann.

Und die Band würde immer wieder neue musikalische Sphären ergründen, wobei dies sicher auch ihrem instabilen Lineup geschuldet ist – etwas, das unsereins als damaligen, hellauf von der klassischen Psychedelik und Eklektik begeisterten Frischling in der Diskografie speziell beim Eintauchen in die späteren Werke etwas befremdet hat. Doch man lernt, solche Entwicklungen zu schätzen, zumal das Songmaterial auch genug Vertrautes bietet. So eröffnet auf dem hier vorliegenden „Red“ beispielsweise der instrumentale Titeltrack gleich mal mit heavy Riffs und mindestens ebenso fetten Grooves. Das eröffnende Riff widersetzt sich zunächst dem klassischen 4/4-Takt, während das Hauptmotiv des Tracks dann mit genau diesem einfach nur so richtig schön drauf los rockt.

Eine Diskografie für Philologen?

Füwahr: Sich in die KING CRIMSON-Diskografie hineinwagen ist ein Unterfangen von geradezu philologischer Natur, selbst wenn man sich nur auf die Studioveröffentlichungen beschränkt. Wie viel sich diese Band um Robert Fripp herum gewandelt hat, wie sehr sich dabei ihr Sound verändert hat und wie diese Band von der Wiege des Prog (wenn man denn so möchte) über ihre experimentelle Phase hinweg in den New Wave (und wieder heraus) fand, das als Hörer nachzuvollziehen ist schon ein kleines Abenteuer. Das Debüt „In The Court Of The Crimson King“ ist natürlich eines der legendärsten Alben der Rock-Geschichte. Und auch wenn umstritten ist, ob es wirklich das erste richtige Prog-Album gewesen ist, so ist es doch eines der ersten und wegweisendsten gewesen.

Verschiedene Umstände führten dazu, dass hiernach praktisch jedes Album in veränderter Besetzung aufgenommen worden ist, wobei die Konstante Robert Fripp immer bestehen blieb. Dabei lässt sich das Schaffen der Band, oder vielleicht besser: der stilistische Werdegang der musikalischen Entität KING CRIMSON zumindest im Rahmen ihrer ersten zehn Alben ganz gut in drei Phasen unterteilen. Die erste ist die klassische Phase, in die sich besagtes Debüt, dessen Nachfolger „In The Wake Of Poseidon“ sowie das bizarr schöne „Lizard“ und das unbizarr schöne „Islands“ einordnen lassen. Was folgte, waren nach einer Auflösung und Neugründung mit John Wetton am Bass und am Mikrofon die experimentelle Phase, in der Fripp vor allem die Live-Energie einfangen wollte, mit der sich seine Band einen Namen machen konnte.

KING CRIMSON fangen ihre Live-Energie ein

Nach „Larks‘ Tongues In Aspic“ und „Starless And Bible Black“ beschloss das hier vorliegende „Red“ diese Phase des Schaffens. Zu diesem Zeitpunkt war das Kern-Lineup, das zu Beginn dieser zweiten Phase ursprünglich als Quintett begann und mit jedem Album quasi ein Mitglied verlor, auf das Trio Fripp, Wetton und Bill Bruford geschrumpft. Dennoch sind einige Gastmusiker wie Gründungsmitglied Ian McDonald oder Mel Collins ebenfalls an Alt- respektive Sopransaxofon zu hören, sodass „Red“ dennoch sinnig auf den Sound seiner beiden Vorgänger aufschließt. Besonders tut das Album dies dank der achtminütigen Improvisation „Providence“, die noch Aufnahmen des zuvor aus dem Lineup ausgeschiedenen Violinisten David Cross enthält und freiförmig beginnt, ehe Bruford das Geschehen in einen markigen Groove einzäunt.

In gewisser Weise konzentriert sich die improvisatorische Energie auf diesen einen Track, denn über den Rest der insgesamt fünf Tracks rockt „Red“ wieder etwas stringenter drauf los. Wir reden hier natürlich von Fripp und seiner Rasselbande, daher reicht es nicht, wenn sich der treibendste Rocker der Platte, „One More Red Nightmare“, geradewegs über die Zielgerade groovt. Über eine Spielzeit von sieben Minuten kann schließlich einiges passieren, sodass das Hauptriff im 7/4-Takt dargeboten wird und über einem 4/4-Ryhthmus, seltener auch mit eingeschobenem 5/4, ausklingt, ehe die Tonart des Motivs variiert wird. Dieses Motiv wechselt sich mit dem Gesangs-Part ab, der isoliert vermutlich einen guten Hard Rocker abgeben würde, auch dank Wettons kraftvoller Gesangsdarbietung. Obendrauf gibt es noch den in 6/8 dargebotenen Instrumental-Part, der zwischengeschoben wird. Und ehe man sich’s versieht, ist schon eine Menge los in diesem täuschend simplen Stück.

„Red“ deckt alle bis hierhin etablierten Facetten der Entität KING CRIMSON ab

„Fallen Angel“ ist ein balladesker Song, der zwar nicht ganz so oft die Taktart wechselt, aber immerhin zwischen 4/4 und 6/8 hin- und herschaltet. Aber das reicht auch, weil hier mehr die Atmosphäre im Mittelpunkt steht, ganz zu schweigen von dieser Sahne-Hook, die Wetton in seiner unnachahmlich pathetischen Art darbietet. Und das Riff in der Hook ist ein wunderbares Beispiel für eine simple, aber wahnsinnig effektive Melodie, die eine enorme Dramatik heraufbeschwört. Ebenfalls wie hiernach in „One More Red Nightmare“ schiebt sich hier ein ausgedehnter Instrumental-Part zwischen die Strophen, der, wiederum erneut, jedoch so dynamisch und stimmungsvoll in Szene gesetzt ist, dass man ihn nicht missen möchte.

Und dann ist da natürlich das abschließende „Starless“, das gerne im gleichen Atemzug mit unsterblichen Klassikern wie „Epitaph“ genannt wird. Das kommt nicht von ungefähr, schließlich bietet „Starless“, dessen Refrainzeile im übrigen als Callback auf den wiederum von Dylan Thomas‘ Hörspiel „Under Milk Wood“ inspirierten Titel des Vorgängers bezeichnet werden kann, wieder diese klassisch psychdelischen Vibes, getragen von Mellotron-Streichern, sanften Gitarrentupfern und nun eben veredelt von Wettons erneut ausgesprochen pathetischer Darbietung. Nur setzt sich auch hier wieder der Trend fort, dass der „Hauptteil“ des Songs wieder durch einen ausgedehnten Instrumental-Part ergänzt wird, der jedoch deutlich gedämpfter beginnt und sich erst nach und nach steigert, um dann in einem möglicherweise wieder Bebop-artigen Jazz-Part (hallo, „21st Century Schizoid Man“) zu gipfeln und hiernach zum Ausganspunkt zurück zu kehren.

Ein wunderbarer Einstieg in die zweite Schaffensphase

„Red“ ist schlicht und ergreifend ein herausragendes Album, wie praktisch alles, was Fripp und Co. bis hierhin veröffentlicht haben. Man kann unter Fans ja richtige Diskussionen über die folgenden Alben, speziell „Beat“ und „Three Of A Perfect Pair“, auslösen, doch scheint sich die Gemeinde einig, dass die Band bis hierhin fast nur musikalisches Gold veröffentlicht hat. Um einmal an den ersten Absatz aufzuschließen, ist es natürlich vollkommen richtig, wenn man mit dem legendären Debüt in dieses Œuvre einsteigt. Aber wenn es darum geht, sich der zweiten, experimentellen Phase zu nähern, ist tatsächlich „Red“ ein hervorragender Ansatzpunkt, da es von den drei Alben dieser Phase das zugänglichste ist. Alle drei sind natürlich überaus zu empfehlen, aber speziell „Starless And Bible Black“ kann aufgrund seiner Kompromisslosigkeit überfordern.

Aber egal wie man es dreht und wendet oder wo man einsteigt: Die KING CRIMSON-Diskografie zu entdecken bleibt ein Abenteuer, wichtiger noch: Die Musik bleibt relevant und wegweisend bis zum heutigen Tag. „Red“ ist nur eines von vielen Beispielen, in denen sich die progressive Vision von Fripp und Co. als zeitlos erweist, holt aber aufgrund seiner erdig rockenden Natur und dem etwas mehr auf einen Track konzentrierten Improvisationsdrang dieser Phase Metal-affiniere Ohren eher ab als die Vorgänger, wobei die Band in ihrer späteren Phase nach den drei New Wave-Alben „Discipline“, „Beat“ und „Three Of A Perfect Pair“ („THRAK“ zum Beispiel) auch wieder heavier zupackt. „Red“ ist jedoch bei weitem nicht so überfordernd und dennoch bis ins kleinste Detail durchdacht, erlaubt gleichzeitig beherztes Hüftschwingen und Kopfnicken, bietet sogleich ausreichend Gelegenheit zum gepflegten Abnerden. Wer also in diese Phase des CRIMSONschen Schaffens möglichst geschmeidig einsteigen möchte, findet hierin das perfekte Album.

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15.04.2022

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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1 Kommentar zu King Crimson - Red

  1. onlythewindremembers sagt:

    King Crimson sind meiner Meinung nach eine Band, die durchgehend wunderbare Alben auf den Markt gebracht haben. Und trotzdem haben sie sich auf jedem Album irgendwie neu erfunden.
    Mein Lieblingswerk der Band ist aber immer noch ihr Erstling.