Kinetik Control - Only Truth Remains

Review

Als es in den letzten Jahren für eine gewisse Zeit eine Tendenz zur Rockmusik im deutschen Musikfernsehen gab, haben vor allem die Finnen davon profitiert. Und neben anerkannten Bands wie HIM und NIGHTWISH kamen auch davor unbekanntere Truppen wie NEGATIVE, THE RASMUS und LOVEX ins tägliche Airplay, wo sie durch einen gewissen TOKIO HOTEL-Faktor nicht erfolglos geblieben sind. KINETIK CONTROL versuchen nun, den Geist dieser Zeit wiederzubeleben: Zwar nicht mit wirren Frisuren und dekadentem Kajal-Einsatz, aber mit simplen Alternativ Rock, einfachen Melodien und einer gewissen melancholisch-finnischen Epik. Ins Musikfernsehen kommen sie damit zwar nicht mehr – auch weil sie es überlebt haben – aber die alten Fans von damals sollte es ja schließlich immer noch geben.

Unter der Oberfläche ist die Sache natürlich etwas komplizierter. So ist der Band keinen Vorwurf der Anpassung zu machen: Die Musikszene von damals gibt es in Finnland schließlich weiterhin. Lediglich das deutsche Label Danse Macabre muss auf die entsprechende Zielgruppe geschielt haben, als sie das Quartett unter Vertrag genommen hat. Und KINETIK CONTROL sind auch keine Neulinge, die sich beim Namen von diversen X-Box-Spielereien inspiriert haben: Bereits 2000 schafften sie es mit einer Demo des Monats in den britischen Metal Hammer.

Ob sich „Only The Truth Remains“ als mehr als ein Geheimtipp herumspricht, ist jedoch fraglich. Auf der Habenseite steht die Beherrschung eines Genres, was eigentlich wie für mich gemacht ist: Treibender Rock mit atmosphärischen Subtilitäten und so vielen Spuren, dass sich keine Melodie so richtig tothört und man auch nach mehreren Durchläufen noch neue Dinge entdecken kann. Da verzeihe ich es gerne, dass man sich am Ende eigentlich an keinen speziellen Song zurück erinnern kann, selbst wenn mehrere als Single ausgekoppelt wurden. Eine Ausnahme gibt es aber: Im letzten Drittel geht das 69-EYES-artige „Dying On A Prayer“ fantastisch in den treibenden Megarocker „Silver Metaphora“, samt innovativer RocknRoll-Anleihen über. Damit kann man durchaus schonmal angeben.

Nichtsdestotrotz ist das Songwriting mit Schwächen behaftet, über die man nicht einfach hinwegsehen kann. Die kurioseste davon: Man hat immer das Gefühl, ein Song fängt ohne richtigen Anfang an und hört auch mittendrin wieder auf. So kommt man zwar auf fernsehtaugliche Spielzeiten von dreieinhalb Minuten, hinterlässt bei mir aber eine ziemliche Verwirrung. Provokanterweise fängt das sogar schon mit dem Opener „Loving The Animal“ an, der ohne Vorwarnung gleich mit der ersten Strophe ansetzt und sich binnen 25 Sekunden rasant zum Refrain hochmoduliert, ohne bis dahin eine einzige Melodie wiederholt zu haben. Die Riffs sind zwar gut, aber man fühlt sich anschließend, als hätte man zwei Stunden lang kopfschmerzverursachenden Prog gehört.

Dennoch darf man als Fan von HANOI ROCKS, NEGATIVE oder THE 69 EYES auch diesem Quartett eine Chance geben. Wenn man Alternative Rock auf eine Art und Weise schreiben kann, dass man anschließend nicht glaubt, ihn schon etliche Male gehört zu haben, ist das immer ein gutes Zeichen. Und wenn KINETIK CONTROL sich in Zukunft mehr Zeit für den Songaufbau erlauben, darf es sie auch mal aus Finnland heraus treiben.

29.03.2011
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