Die Jungs von KILLSWITCH ENGAGE zählen für mich zu jenen Bands, denen der Schritt zu weniger Härte und mehr Melodie nicht unbedingt gut getan hat. „The End Of Heatache“ war anno 2004 ein Knalleralbum, das Fans und Kritiker gleichermaßen beeindrucken konnte. Der Nachfolger „As Daylight Dies“ war zwar ein kommerzieller Erfolg, viele Fans der ersten Stunde waren von der Entwicklung ihrer Lieblinge aber enttäuscht. Auf dem 2009 veröffentlichten, selbstbetitelten Album wirkte es dann, als würde den Jungs bei einem starken Übergewicht der Cleanvocals langsam die Puste ausgehen.
In der Zwischenzeit hat sich einiges getan. 2012 verlies Sänger Howard Jones die Band und sorgte damit für einen Aufschrei des Entsetzens im Fanlager. Einen Grund zur Freude gab es hingegen für die Anhänger der ersten Werke der Amerikaner, denn Jones‘ Nachfolger ist niemand geringeres als Jesse Leach, der als Gründungsmitglied bis 2002 bei der Band am Mikrofon stand und unter anderem Hits wie „My Last Serenade“ seine Stimme lieh. Bedeutet die Rückkehr Leach’s auch eine Rückbesinnung auf die älteren, härteren Glanztaten der Band?
Gleich der Opener setzt ein deutliches Ausrufezeichen. „The Hell In Me“ ist locker der beste Song, den die Amerikaner seit 2004 veröffentlichen und vereint alle Trademarks, die KILLSWITCH ENGAGE ausmachen: Harte Midtempo Riffs, melodische Gitarrenlicks und ein clean gesungener Hammer-Refrain. Top! Deutlich wird auch, dass Jesse Leach während seiner Abwesenheit deutlich an sich gearbeitet hat. Er überzeugt sowohl mit seinen Shouts als auch mit den Cleanvocals auf ganzer Linie und seine Stimme wirkt voluminöser als je zuvor. Leach knüpft an seine alten Leistungen nicht nur an, er übertrifft sie!
Leider folgt auf diesen Kracher mit „Beyond The Flames“ direkt ein Song, der eher nach einem schlechten Abklatsch eigener Hits klingt – aber das ist auch schon der schwächste Moment des Albums. Die erste Singleauskopplung „In Due Time“ begeistert mit einer Ohrwurm-Hook, harmonischen Gitarren im Chorus und einem wunderbaren Solo. „A Tribute To The Fallen“ ist ebenfalls ein Titel mit einem tollen Refrain, der perfekt auf „The End Of Heartache“ gepasst hätte.
Um die Eingangsfrage zu beantworten: Ja, KILLSWITCH ENGAGE sind wieder ein Stück härter geworden. Der Anteil der Cleanvocals ist zu Gunsten der Shouts wieder etwas zurückgeschraubt, es gibt mehr Moshparts und harte Riffs. Aber der Unterscheid zum Vorgänger liegt viel mehr in der gesamten Stimmung des Werks und nicht nur in songwriterischen Feinheiten. „Disarm The Descent“ klingt in seiner Gesamtheit, als wäre die Band mit viel mehr Herzblut und Spaß an der Arbeit als noch 2009. Die Riffs, die schwedisch angehauchten Melodien, die Refrains – all das wirkt frischer und ehrlicher, als es auf dem Vorgänger der Fall war. Die organische Produktion von Gitarrist Adam Dutkiewicz tut ihr Übriges und so macht die Scheibe einfach nur Spaß.
Als Hit hervorheben könnte man noch einige Songs, denn an großartigen Titeln mangelt es „Disarm The Descent“ nicht. Da wäre zum Beispiel das emotionale „You Don’t Bleed For Me“ mit einem an Post-Hardcore erinnernden Mittelteil oder mein persönliches Albumhighlight „The Call“; ein Song der mit rasanten Blastbeats, anbetungswürdigen Gitarrenmelodien und einer von Adam Dutkiewicz gesungenen Bridge Härte und Melodie so gekonnt vereint wie kaum ein anderer.
Mit diesem Album melden sich KILLSWITCH ENGAGE 2013 eindrucksvoll zurück. „Disarm The Descent“ ist zwar weder das größte Werk der Bandgeschichte, noch die Rettung des modernen Metals im Alleingang, aber es ist ein riesiger Schritt in die richtige Richtung und unterm Strich einfach eine tolle Platte, die bisher zu den Highlights des Jahres zählt. Zu den Großen der Metalszene gehören die Amerikaner schon lange, wenn es so weiter geht ist der Weg zu den wirklich ganz Großen nicht mehr lang.
Knaller!!! Für mich ist „Turning Point“ der absolute Höhepunkt des Albums. Auch von mir 9/10