Keep Of Kalessin - Kolossus

Review

Eine Metalband, die alles vereinen soll, was eine zwar erfolgreiche und moderne, aber doch künstlerisch ernstzunehmende Band ausmachen sollte? Die eigenständig klingt, kreativ ist, live spielt, authentisch scheint und zu allem Überfluss auch noch gut wie eine Boygroup aussieht? Und keinen Metalcore spielt, sondern „Extreme Metal“?

Ich weiß, das scheint unmöglich, ist aber mit KEEP OF KALESSIN, nach bereits mehr als zehn Jahren Aktivität und einigen Alben (darunter dem unfassbaren „Armada“ von 2006) Wahrheit geworden. 2008 soll nun das Jahr des norwegischen Drachens, in Vertretung von Gitarrist und kreativem Köpfchen Obsidian Claw und seiner drei Mitstreiter, werden. „Kolossus“ wurde bereits vor seiner eigenen Fertigstellung mehrerorts als internationaler Durchbruch, genreloses Metal-Meisterwerk und mögliches Album des Jahres im Extrem-Metal-Sektor gehandelt. Das Ding hat so viele Vorschusslorbeeren geerntet, dass man sich direkt zum Gärtner berufen fühlt, um sich zu dem durchzugraben, was zunächst wesentlich sein sollte: der eigentlichen Platte.

Dabei muss ich zugeben: im Gegensatz zu „Armada“ hebt „Kolossus“ nicht augenblicklich ab, bleibt zunächst eine Zeit lang blass und ist schwer einzuordnen. Eigentlich sollte das ein Qualitätsprädikat sein, kann aber in Zeiten, wo keiner mehr die Muße hat, sich mit einem Album länger als eine Stunde zu beschäftige, schnell nach hinten losgehen.
Um KEEP OF KALESSINs Stil als „Extreme Metal“ bezeichnen zu können, müsste er meiner Ansicht nach schon ein paar Schaufeln brutaler und zügelloser wirken. Obwohl das Album gerade durch Vyls Drumming mitunter in höchste Geschwindigkeitsregionen vorstößt, machen andere Attribute seinen Reiz aus: der ungewöhnliche Gitarrenstil, den man zwischen heavy, episch und progressiv einordnen kann zum Beispiel. Die gerne und mitunter fast inflationär eingesetzten, geschrammelten Akustikgitarren unter erhabenen Metalriffs. Der Gesang, der mit Black Metal im Grunde nichts mehr zu tun hat, weil er dafür viel zu viel Stimme und variierende Tonlagen zu bieten hat und nicht selten an klassischen Metal-Gesangsstilen kratzt (auch die Metalcore-„Vorwürfe“, die manche dagegen einzubringen haben, kann man ganz entfernt nachvollziehen). Die soundtrackartigen Harmonien und Arrangements. Im Gegensatz zur Titulierung als „Extreme Metal“ machen Extreme dieses Album also gerade NICHT aus, sondern eine wohl miteinander verschmolzene Auswahl an diversesten Einflüssen.

So trägt fast jeder der neun Tracks sein eigenes Trademark: das Intro „Origin“, von Akustikgitarren getragen, von Soli melodiös verfeinert, könnte aus einem Sandalenfilm-Soundtrack stammen; „A New Empire’s Birth“ trägt orientalische Züge und erinnert nicht selten an MELECHESH (denen ich übrigens nach ihrem Deal mit Nuclear Blast Ähnliches zutraue); „Against The Gods“, als eines der schnellsten und längsten Stücke, wildert in Heavy- und Power-Metal-Riffregionen, bleibt aber ganz episch; in „The Rising Sign“ marschieren die Trondheimer unaufhaltsam einem Refrain entgegen, der in ein paar Jahren vielleicht den heutigen „Mother North“-Chören bei SATYRICON-Konzerten Konkurrenz machen wird – vermutlich der in einzelnen Teilen und als ganzer Song beste Tracks des Albums, zudem mit einem wunderschön berührenden Piano- und Streichintermezzo. Auf diesem Album leider einzigartig!; das schwer einzuordnende „Warmonger“, das mitunter wie eine auf 100 rpm abgespielte frühe MAIDEN-Platte klingt; „Escape The Union“ und das abschließende „Ascendant““, die stilistisch am ehesten der „Armada“-Ära zuzuordnen sind – beides sehr gute Songs mit wunderbaren Soli, sehr intelligenten Arrangements und tollen Riffs; und dann sind da noch das rituelle Titelstück „Kolossus“, das trommelnd und bedrohlich beginnt und sich binnen weniger Minuten, vor allem mittels einer wirklich ausdrucksstarken Gesangsleistung, zu einem wirklichen Hinhörer entwickelt; und zuletzt, weil es besonders außergewöhnlich ist, „The Mark Of Power“. Hier haben wir es vermutlich mit der Quotenballade des Albums zu tun, bei dessen Entstehung die vier Norweger ganz offensichtlich oft und gerne TIAMATs „Wildhoney“ genossen haben. Anders lassen sich die entspannt fließenden Akustikgitarren und der fast 1:1 übernommene Gesangsstil zu Liedbeginn schlecht erklären. Natürlich fehlen auch hier die rasende Doublebass und die E-Gitarre nicht, aber der Gesamtcharakter des Stückes ist eigenartig und angenehm verräuchert, ganz im Gegensatz zur sonstigen Klarheit des Albums.

Diese Klarheit wird den Kritikern von „Kolossus“ die meisten Argumente dafür liefern, dass das Album hier und da vielleicht nicht so gut wie „Armada“ ankommen wird. Das kann ich zwar nachvollziehen, muss aber warnen: „Armada“ war in Teilen, gerade in der Produktion, noch ein rüdes und extremes Black-Metal-Album. „Kolossus“ aber ist ein progressives, vielschichtiges Werk mit fantastischen Gitarrenideen, einer makellosen spielerischen Umsetzung, einem für Metalverhältnisse durchaus visionär zu nennenden Stilmix und einem verhältnismäßig naturbelassenen Studiosound. In allen diesen Dingen erinnert mich die Platte ein wenig an die Machenschaften IHSAHNs, der zwar in eine andere Kerbe schlägt, aber ähnlich respektlos mit Genregrenzen und Fremdeinflüssen umgeht. Im Großen und Ganzen gilt aber, was Obsidian Claw in unserem Technikspecial betont: niemand klingt wie KEEP OF KALESSIN. Das stimmt und ist eine Tatsache, auf die man stolz sein kann, die aber auch verkauft werden muss. Dass die Zeiten des Black-Metal-Undergrounds damit vorbei sind, das sollte klar sein. KEEP OF KALESSIN müssen fürderhin nur noch als Metalband gesehen werden.

Solange so ein Album dabei herauskommt, ist das aber völlig in Ordnung. „Kolossus“ ist am Ende letztendlich doch ein einziges monströses Extrem: extrem heavy, extrem episch, extrem schön – extrem kolossal.

01.06.2008
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