KATATONIA sind zurück. Doch etwas ist anders auf „The Fall Of Hearts“. „Dead End Kings“ scheiterte seiner Zeit daran „Night Is The New Day“ vom Thron zu stürzen und zeigte eine Band, die aus ihren Möglichkeiten manche Songs zu einem fast perfekten Ganzen(„Lethean“) zusammenformte, teilweise allerdings auch Sackgassen befuhr („First Prayer“).
Jetzt also „The Fall of Hearts“, das zehnte KATATONIA Album, zum 25-jährigen Bestehen. Darauf erklingen jedoch nicht die fünf Schweden, die sämtliche Markenzeichen über Bord geworfen haben, sondern ein Quintett, das an den Positionen Schlagzeug und Gitarre neubesetzt wurde und weniger eingeschränkt arbeitet als je zuvor – dessen dunkelmelodische Musik unaufhaltsam den Gestaden progressiven Metals entgegensteuert: Tapping, Disharmonien, ungewöhnliche Lied-Aufbauten, rhythmusorientierte (lange) Songs – Dinge, die lange nicht mehr oder noch nie von von KATATONIA zu hören waren. Die Veränderung auf „The Fall Of Hearts“ ist kaum mehr eine „Feinjustierung“, sondern vielmehr eine Neuausrichtung.
Den Beginn macht „Takeover“, dessen Riff nahezu TOOLeske Züge trägt. „Serein“ entfaltet sich wie Morgennebel, der, bald von der Sonne beschienen, einen unwirklichen Schleier über die ländlichen Felder legt. Dann verstummt das Instrumentarium, einzig ein Synthesizer verweigert sich der Stille und begleiten, bald gepaart von dunklen Trommeln, den Song in sein furioses Finale.
„Old Hearts Fall“ hätte auch Teil von „Dead End Kings“, dem letzten KATATONIA-Album, sein können. Die erschöpft verhallenden Akkorde werden von den getragen geseufzten Gesangslinien Jonas Renkses zusammengehalten und in einen melodiereichen Refrain geführt.
Scheppernde Akustikgitarren leiten ohne Unterbrechung in „Decima“ über. Der flötenverwandte Synthesizer-Klang deckt sich bestens mit den Saiteninstrumenten, deren Solo-Part Erinnerungen an OPETHs „Damnation“ weckt. Der Song markiert die Ruhe vor dem Sturm, der mit „Sanction“ hereinbricht. Gleichzeitig fasst das Stück den Wandel KATATONIAs zusammen: stark akzentuiertes, auch schwache Zählzeiten betonendes Schlagzeug, Gitarren und Bass verkeilen sich beinahe im Stop-and-Go-Verkehr des Djent, während die Synths den im Lied besungenen Neon-Schleier auf das Grau der Stadt legen.
Die Songs auf „The Fall Of Hearts“ vollziehen einen Wechsel von der ländlichen Idylle in die Großstadthölle. Durch die Perkussionseinlagen auf „Residual“ und „Serac“ werden behutsam kleine Schritte in eine Welt außerhalb grauer Betonbauten und Glasfassaden gemacht. Schlussendlich kollidieren das Ländliche und das Urbane in „Last Song Before The Fade“. Der Song lebt von seinen Kontrasten. Eine sanft schwingende, klaviergetragene Strophe prallt im Refrain auf harte Gitarren und verebbt beinahe in einer Schlacke aus Bass und Schlagzeug, ehe der Song – wie befreit – seinem Refrain Gehör abermals verschafft und die abschließenden Lieder wieder pastorale Luft atmen.
Das Zupfmuster im Bass versetzt „Shifts“ in permanente Bewegung. In Kombination mit den minimalen Abwärtsbewegungen im Keyboard entsteht der wiegende Rhythmus sanft bewegten Wassers. Die hellen Klangflächen im Refrain lassen kurz Sonnenfragmente von der schimmernden Oberfläche spiegeln. „Passer“ beginnt im Stile traditioneller Metal-Kompositionen. Anders Nyström soliert sich, unterstützt von großflächiger Double-Bass, in der Hörer Gehörgänge, bevor auch dem letzten Song das Harmonikkorsett des Albums angezogen wird.
Alle Songs auf „The Fall Of Hearts“ sind gleichzeitig von einer zerbrechlichen Atmosphäre und berstenden Ergüssen durchzogen und immer spannend aufgebaut. Dennoch fehlt teilweise der Blick für das Besondere. Anfangs steht „The Fall Of Hearts“ das neue Gewand bestens und zieht Neugierde auf sich. Die Falten die es wirft breiten jedoch den Schatten der Routine aus. Die Harmonik und die Gesangslinien wirken selten wirklich neu, was KATATONIA hindert, konsequent unberührtes Terrain zu betreten. Das führt letztlich dazu, dass „The Fall Of Hearts“ die melancholische Wärme seiner Vorgänger – nicht fehlt – aber diese nicht so umstandslos ausgestrahlt wird; sie liegt verborgen hinter der Fassade des Ausprobierens der „renovierten“ Fertigkeiten. „The Fall Of Hearts“ ist im Bereich Songwriting sicherlich das Interessanteste im Backkatalog, allerdings auf Kosten der Einfachheit wärmender Traurigkeit.
Vielleicht hilft es, „The Fall Of Hearts“ als Beginn einer neuen Ära bei KATATONIA zu sehen. Die Gruppe agiert weniger limitiert als bisher, doch gleichzeitig klingen die (meisten) Songs, als hätten die Musiker jeweils neues Spielzeug bekommen und müssten noch entdecken wie deren Anwendung untereinander am besten harmoniert, bevor (wie bei „Night Is The New Day“) auch der runderneuerte Sound perfektioniert sein wird.
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