Karmakanic - Dot

Review

KARMAKANICs „Dot“ ist das fünfte Studioalbum der Schwedenformation um Basser Jonas Reingold, der neben seiner Tätigkeit bei THE FLOWER KINGS und einer ganzen Batterie anderer Projekte (z.B. THE TANGENT, KAIPA) offenbar genug Langeweile für eine eigene Band verspürt. Seit 2002 sahnen KARMAKANIC in wechselnder, aber stets hochkarätiger Besetzung überwiegend Kritikerlob ab und schrecken weder vor komplexer Frickelei, noch thematisch schweren Brocken zurück.

Carl Sagan als Inspiration

Den jüngsten Beweis dafür wollen KARMAKANIC nun mit einem Album erbringen, das inhaltlich an philosophische Erwägungen Carl Sagans angelehnt ist – Menschenskinder, das hatten wir (glaube ich) ja seit NIGHTWISH nicht mehr! Das Endergebnis hat erwartungsgemäß mit finnischem Symphonic Metal wenig bis gar nichts zu tun, schwenkt aber für die knappe Hälfte der Spielzeit ähnlich weit in Richtung Pop.

„Dot“ als zweiteiliger Song

Zentrales Element von „Dot“ ist zunächst jedoch der zweiteilige Titelsong „Dot – God The Universe And Everything Else No One Really Cares About“, dessen „Part I“ in epischer Länge von fast 25 Minuten das Album eröffnet. Episch ist hier erfreulicherweise nicht nur die Dauer des Tracks: KARMAKANIC kraulen Hirn und Ohren mit einem echten Glanzstück, das einen prall gefüllten Sack aus musikalischem Können (oh, dieser Bass!!!), den gewohnten Stops und Tempowechseln, Stilkapriolen von Jazz bis 70ies-Prog und einer meisterlichen Interaktion der zahlreichen Instrumente, inklusive Choreinlagen und Flötensolo, schnürt. Dabei geht dem Songwriting der rote Faden an keiner Stelle verloren und die Zeit rauscht nur so am Hörer vorbei. „Part II“ steht nicht etwa direkt dahinter, sondern als fünfter und letzter Song am Ende von „Dot“. Der Titel wirkt auch nicht im eigentlichen Sinne wie ein zweiter Teil, sondern eher wie ein Epilog zu Reingolds Auseinandersetzung mit Sagans Reflektionen zu „Pale Blue Dot„, einem Foto der Erde, das im Jahr 1990 von der Voyager I-Sonde aufgenommen wurde. Darauf ist der Planet als blassblauer Punkt in der Größe eines Pixels zu erkennen, was Sagan zu einer leidenschaftlichen Relativierung der Bedeutung all unseren Seins und Tuns veranlasste. „Dot – Part I“ und „Part II“ greifen diesen Inhalt nicht nur musikalisch, sondern auch in den Texten vielschichtig und ansprechend auf und unterm Strich steuern KARMAKANIC mit dieser Leistung steil in Richtung (fast) voller Punktzahl.

Der Rest kann nicht mithalten

Aber, oh, der Rest. Drei weitere Titel, fast dreißig Minuten Musik, in denen das Aufgebot von ganzen zwölf Musikern (u.a. Morgan Ågren und Andy Tillison) das Niveau einfach nicht halten kann. „Higher Ground“ ist eine zehnminütige, solide Prog-Nummer mit einem Hauch GENESIS, einer ordentlichen Prise STEVEN WILSON und wenig mehr als genredurchschnittlichem musikalischem Mehrwert. „Steer The Stars“ und „Traveling Minds“ sind angeRUSHte, gefällige Radionummern, die bei zwei- oder dreimaligem Hören Spaß machen und danach im akustischen Nirvana verpuffen, weil ihnen die Komplexität und der Tiefgang, die KARMAKANIC an anderer Stelle so bravourös liefern, einfach fehlen. Jedes Album verträgt den einen oder anderen Song, bei dem der kundige Hörer geistesabwesend die Skip-Taste betätigt. Auf „Dot“ findet sich jedoch ein Rahmen ohne Füllung, ein Strukturverlust für die ganze Platte und es bleibt der schale Nachgeschmack der Unfertigkeit.

Am Ende ist „Dot“ kein schlechtes Album, aber auch keines, das mit KARMAKANIC-Werken wie „Wheel of Life“ oder „In A Perfect World“ mithalten kann. Fans von YES, GENESIS oder SPOCK’S BEARD sollten ruhig mal rein hören – in meiner Sammlung wird die Platte jedoch auf Dauer nur die relative Größe eines blassen Pixels einnehmen.

31.07.2016

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