Kanonenfieber - Die Urkatastrophe

Review

Soundcheck September 2024# 4 Galerie mit 20 Bildern: Kanonenfieber - Heidrun Over Europe Tour 2024 in Saarbrücken

Nach dem Erfolg vom „Menschenmühle“ hat KANONENFIEBER-Mastermind Noise erstmal seine beiden anderen Projekte NON EST DEUS und LEIÞA mit gleich mehreren Alben bedacht. Nichtsdestotrotz war der Bamberger Einzelkämpfer auch als Kriegsberichterstatter keineswegs untätig, veröffentlichte mehrere EPs sowie Singles und brachte sein Erster-Weltkriegs-Projekt eindrucksvoll auf die Bühne. Ob der Mann auch mal schläft, ist nicht bekannt; Zeit für das zweite KANONENFIEBER-Album „Die Urkatastrophe“ hat er trotzdem gefunden.

KANONENFIEBER schlagen die Brücke zum Debüt

Das schlägt nach dem unheilvollen Intro „Grossmachtfantasie“ mit der ersten Single „Menschenmühle“ auch prompt die Brücke zum Debüt und fasst den menschenverachtenden Wahnsinn des Ersten Weltkrieges unter Blast-Gewittern und Stakkato-Riffs erschreckend trefflich zusammen. Von der anfänglichen blinden Kriegsbegeisterung führt der bruchstückhaft runterexerzierte Text durch die verschiedenen Kriegsschauplätze bis hin zum sinnlosen Massensterben an der Front und es sind Textzeilen wie „Weihnachten sind wir zuhaus“ oder „die Welt von Blut und Schlamm bedeckt“, die einen auch später immer wieder heimsuchen.

Was folgt, ist die von KANONENFIEBER bereits bekannte, überaus eigenständige Mischung aus melodischem Black- und Death Metal, der einerseits mit Hooks nicht geizt, andererseits aber stets entweder von unterschwelliger Melancholie oder Angriffslust beseelt ist. Die Texte von Noise basieren erneut auf Originaldokumenten und Erfahrungsberichten, die dem Schrecken des großen Krieges ein Gesicht verleihen, ohne dabei irgendwas zu glorifizieren. Klar, ein Song wie das treibende „Sturmtrupp“ mag zunächst heroisch wirken, verhehlt jedoch zu keiner Zeit den lebensverachtenden Irrsinn, den ein Sturmangriff durch das Niemandsland auf feindliche Frontlinien mit anschließendem Grabenkampf bedeutet haben muss.

„Gott mit der Kavalerie“ schlägt in eine ähnliche Kerbe, während das Groove-Monster „Panzerhenker“ wie der kleine Bruder von „Dicke Bertha“ rüberkommt. Nach der ungeschönten Darstellung einzelner Kriegsszenarien geht das emotionale „Waffenbrüder“, zu dem HEAVEN SHALL BURN-Gitarrist Maik Weichert ein Solo beigesteuert hat, auch auf die Kameradschaft unter gemeinsam eingezogenen jungen Soldaten ein, deren Freundschaft in der sich schnell manifestierenden grausamen Realität des Abnutzungskrieges oft einziger Rückhalt war.

„Die Urkatastrophe“ beschreibt die grausame Realität des Krieges

Auch wagt sich Noise auf „Die Urkatastrophe“ hier und da ein wenig aus der musikalischen Komfortzone. „Der Maulwurf“ z. B. wirkt wegen der Intonation in den Strophen einerseits und wegen des schunkeligen Refrains andererseits erstmal wie eine Mischung aus EISREGEN und SANTIANO, allerdings ohne Leichenfledderer-Lyrik oder spießbürgerliches Seemannsgarn. Das ist gewöhnungsbedürftig, fügt sich aber dennoch gut ins restliche Material ein.

Die letzten metallischen Töne des Albums verklingen mit der doomigen „Ausblutungsschlacht“, welche den Wahnwitz und die Sinnlosigkeit von Verdun schaurig vertont; die größte Überraschung folgt allerdings danach. Die das Album beschließende Akustikballade „Als die Waffen kamen“ erinnert nämlich sowohl in Vortrag als auch Inhalt ein wenig an TON STEINE SCHERBEN bzw. RIO REISER; so viel Zerbrechlichkeit und Feingefühl hatte zumindest ich KANONENFIEBER bis dahin nicht zugetraut.

Trotz solcher kleinen Exkurse kann man „Die Urkatastrophe“ problemlos als direkte Fortsetzung von „Menschenmühle“ verstehen, wobei insgesamt für mehr Feinschliff gesorgt wurde. Die Produktion von Kristian Kohle ist differenzierter als beim Debüt, der Gesang ist klarer verständlich und erneut tragen historische Sprachsamples zur dichten, unheilvollen Atmosphäre bei. Da manche Stücke hier und da recht ähnlich gestrickt sind, bieten „Der Maulwurf“ und „Als die Waffen kamen“ zudem willkommene Abwechslung.

Die Botschaft von KANONENFIEBER bleibt brandaktuell

Überdies sind die Songs etwas eingängiger geworden, was natürlich irgendwo eine zwiespältige Angelegenheit ist. Denn einerseits lädt so mancher Refrain dazu ein, aus voller Kehle mitzuschmettern, andererseits bleiben einem wegen des Inhalts aber oft die Worte im Halse stecken. Dieser Zwiespalt macht allerdings auch einen Teil der Faszination von „Die Urkatastrophe“ aus.

Ein wenig muss Noise dennoch aufpassen, dass KANONENFIEBER angesichts der wachsenden Live-Präsenz auf immer größeren Bühnen und mit zunehmend imposanter Bühnenshow in Verbindung mit besagter Eingängigkeit nicht irgendwann zum Weltkriegsfasching à la SABATON verkommt. Das ist ob der Gewissenhaftigkeit, mit der er die Thematik bisher angeht, zum Glück erstmal nicht absehbar, denn die Botschaft und die damit einhergehende Warnung ist leider auch heute noch brandaktuell.

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13.09.2024

"Musik hat heute keinen Tiefgang mehr." - H.P. Baxxter

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6 Kommentare zu Kanonenfieber - Die Urkatastrophe

  1. metal-maniac sagt:

    Da ist es nun, das neue, lang erwartete Full-length-Album von Kanonenfieber, der Band die aktuell wie wohl keine zweite Band im Extrem-Metal-Sektor gehypt wird. Das Debüt ist damals wie eine Bombe in der Szene eingeschlagen und um’s gleich vorwegzusagen: Grundsätzlich gefällt mir das Konzept der Band. Das Debüt und die Füsilier-EP gefallen mir auch heute noch sehr gut und laufen immer mal wieder. Auch auf lyrischer Ebene hatten Kanonenfieber bis hierhin einen Stein bei mir im Brett. Selten habe ich bisher so gut ausgearbeitete Texte zum Thema Krieg im Metal-Sektor hören können, die gleichzeitig interessant aber nicht verherrlichend wirkten.

    Bis hier hin ging es mit der Band stetig steil bergauf und es ist zu bezweifeln, dass sich das so schnell ändern wird. Eilig hat der vermeintliche Alleinunterhalter Noise (mittlerweile ist es wohl mehr als nur ein Gerücht, dass er beim Songwriting Hilfe einer zweiten Person bekommt) eine Live-Band inklusive immer imposanter werdender Live-Shows auf die Beine gestellt. Mit dem Noisebringer-Festival wurde sogar eine eigene Veranstaltung ins Leben gerufen. Auch ein Live-Album wurde direkt hinterher geschoben wo man schon die Frage stellen dürfen muss, ob es das nach einem einzigen Full-lenght-Album wirklich schon braucht. Auch Noise‘ zweite Band Non Est Deus hat eine Live-Umsetzung nach dem letzten Mgla-Copycat-Album (jaja, schlagt mich) bekommen. Es läuft also an allen Fronten.

    Bevor wir uns jetzt falsch verstehen, ich missgönne der Band den Erfolg nicht. Im Gegenteil, ich finde das alles fast schon beeindruckend, was Noise hier aus dem Boden gestampft hat. Warum ich das jetzt trotzdem alles schreibe bevor ich endlich mal ein Wort zum neuen Album verliere? Nun, ich bin der Meinung, man hört der neuen Scheibe die Erfolgswelle sehr deutlich an. Die U-Bootsmann-EP hatte es schon angedeutet: Noch eingängigere Refrains, noch fettere Riffs, noch einfachere Songstrukturen, noch dickere Moshparts und eine noch mehr pumpende Produktion.
    Prinzipiell wäre das alles auch gar kein Problem für mich solange es denn gut gemacht ist. Und das ist es ja irgendwie auch. Hier ist es mir aber alles ein bisschen zu viel von allem. Ich meine Kanonenfieber klangen nach meinem Empfinden schon immer recht nach Baukasten aber bisher hat mich das nicht wirklich gestört. Hier finde ich die Musik teilweise so vorhersehbar und anbiedernd auch in Kombination mit den Texten (kleines Beispiel aus „Der Maulwurf“ im Refrain natürlich per heroischem Chor vorgetragen: Graben und weiter graben, mit meinem Spaten, der  Maulwurf sieht kein Licht,  graben und weiter graben, stets unter Tage, bis der Stollen endlich einbricht), dass es kaum auszuhalten ist. Den ersten Hördurchgang musste ich bei „Lviv zu Lemberg“ tatsächlich genervt abbrechen weil das ultraeingängige Hauptriff zu tote geritten wird.

    Spätestens bei „Waffenbrüder“ bekommt das Ganze dann bei mir wirklich unangenehme Sabaton-Vibes, gerade wenn ich mir das mit der für meinen Geschmack eh schon eher befremdlich wirkenden Live-Show in Kombination vorstelle. Von Antikriegshaltung ist da für mich nicht mehr viel übrig. Dann sollte man das Ganze vielleicht auch einfach das nennen was es ist, pures Entertainment. Klar ist dazwischen schon auch immer noch genügend klassischer Kanonenfieber-Soff aber für mich ist es auf jeden Fall mehr als offensichtlich, dass die „neue Ausrichtung“ klar auf die großen Headliner-Slots dieser Welt zielt.

    Und ich meine das ist auch ok so und aus Sicht von Noise mehr als nachvollziehbar. Ob ich diesen Weg mitgehen muss? Eher nicht. Beim ersten zweiten Album ist es wohl zu früh, eine Band schon abzuschreiben und vielleicht holt sich bei der nächsten Scheibe schon wieder. Vielleicht bringen ja  aber auch 1914 mal wieder was Neues. Die Texte sind dort aufgrund ihres doch recht limitierenden English-Wortschatzes bisweilen manchmal zwar sehr plump und plakativ, verherrlichend wirkten die wegen der nach meinem Empfinden wesentlich ernsteren Musik bisher nie…

  2. metal-maniac sagt:

    Wertung vergessen…

    6/10
  3. Hansi sagt:

    „Von Antikriegshaltung ist da für mich nicht mehr viel übrig.“
    Sorry, aber ernsthaft?

    „mittlerweile ist es wohl mehr als nur ein Gerücht, dass er beim Songwriting Hilfe einer zweiten Person bekommt“
    Nicht beim Songwriting, sondern bei der Recherche. Dort hilft ihm ein befreundeter Historiker.

    „auf jeden Fall mehr als offensichtlich, dass die „neue Ausrichtung“ klar auf die großen Headliner-Slots dieser Welt zielt.“
    Mit gutem Grund. Es geht im schließlich um die Botschaft.

    „Bevor wir uns jetzt falsch verstehen, ich missgönne der Band den Erfolg nicht.“
    Auch hier sorry, aber was Du schreibst legt etwas anderes nahe.

    Um zu sagen, Dir gefällt die Musik nicht mehr, weil es sich geändert hat, hätte genügt, genau das zu schreiben. Mein Eindruck.

    Tipp für alle Mitlesenden: Das Interview mit Noise, hier auf Metal.de, ist sehr interessant.

    Von mir gibt’s eine bessere Bewertung.

    8/10
  4. metal-maniac sagt:

    Hi Hansi,

    sorry, no front aber wenn du das ernsthaft diskutieren wolltest hätte ich mir etwas mehr Input zu dem von mir Geschriebenen gewünscht. Ich hab den Text bewusst recht ausführlich gehalten weil ich einigermaßen begründen wollte, warum mich das neue Album nicht mehr richtig abholt.

    „ Sorry, aber ernsthaft?“

    Ja ernsthaft. Für mich passen der Vibe der Musik und das was aussagen möchte einfach nicht mehr richtig zusamme. Überspitztes Beispiel: Sabaton geben sich auch immer den Anstrich Anti-Krieg zu sein (was ich nicht mal bezweifle) und schreiben dann irgendwelche Mitgröhl-Songs. Finde ich einfach seltsam.

    „Nicht beim Songwriting, sondern bei der Recherche. Dort hilft ihm ein befreundeter Historiker.“

    Nein ich rede bewusst vom Songwriting. Aber belassen wir’s dabei. Der Punkt stört mich auch gar nicht weiter.

    „Mit gutem Grund. Es geht im schließlich um die Botschaft“

    Also sorry aber das glaubst du doch selbst nicht bei dem ganzen Bohei den der Herr Noise sonst noch so betreibt. Ob’s dafür das von Kanonenfieber aufgezogene Laientheater braucht wage ich auch zumindest mal in frage zu stellen.

    „Auch hier sorry, aber was Du schreibst legt etwas anderes nahe“

    Nein, sonst hätte ich mir sicher nicht die Mühe gemacht einen so ausführlichen Text dazu zu zu schreiben. Mir sind Kanonenfieber abseits der CD-Veröffentlichungen tatsächlich auch ziemlich egal bzw. Ich habe wenige direkte Berührungspunkte damit.

    „ Um zu sagen, Dir gefällt die Musik nicht mehr, weil es sich geändert hat, hätte genügt, genau das zu schreiben. Mein Eindruck.“

    Mein Eindruck: Du kommst nicht darauf klar, dass ich eine von dir gemochte Band kritisiere. Der gute Noise kann wie jeder andere Künstler inInterviews übrigens von mir aus viel erzählen. Ums genau zu wissen müsste man ihn schon persönlich kennen…

  5. destrukt. sagt:

    Den Vorwurf der „fehlenden Antikriegshaltung“ halte ich auch für arg konstruiert, sind die Texte doch weitestgehend deskriptiv gehalten und adhoc ist mir absolut nichts aufgefallen, was man missdeuten könnte. Davon unbenommen bleibt allerdings, dass einige Refrains das erträgliche Maß an „Kalauertum“ deutlich überschreiten. Die fette Produktion darf man natürlich wie immer blöd finden, in meinen Augen ist die Produktion mit ihrer, ja, fast mechanischen Kälte, durchaus passend und hat mich im ersten Impuls etwas an Negators „Eiserne Verse“ erinnert. Ansonsten klingts für mich musikalisch weitestgehend wie ne angeschwärzte Version von HSB, was mir persönlich zusagt. Die ganz große Platte, zu der sie mancherorts gemacht wird, seh ich hier nicht, aber grundsätzlich ist auch nicht viel verkehrt dran und genug gute Momente, die einen zu der Platte zurückkommen lassen, sind definitiv vorhanden.

    7/10
  6. metal-maniac sagt:

    Ich weiß nicht ob man mich hier absichtlich missverstehen möchte aber nochmal fürs Protokoll: Es ist nicht so dass ich Kanonenfieber die Anti-Kriegshaltung nicht mehr abnehme. Ich meine über was diskutieren wir hier überhaupt? Dass Krieg etwas Scheußliches ist, sollte jedem mit halbwegs gesunden Menschenverstand klar sein.

    Allerdings passen Message und Musik/Auftreten der Band für meinen Geschmack zumindest in Teilen nicht mehr richtig zusammen bzw. driften für meinen Geschmack zu häufig in Kalauertum ab wie du es nennst.

    Und ja mir ist auch bewusst, dass man diesen Vorwurf gerade im Metal noch ganz anderen Bands machen könnte aber die meisten davon schreiben sich das Thema halt auch nicht so dermaßen auf die Fahne. Ansonsten soll’s das von mir dazu jetzt aber auch gewesen sein.