Kanonenfieber - Die Urkatastrophe

Review

Nach dem Erfolg vom „Menschenmühle“ hat KANONENFIEBER-Mastermind Noise erstmal seine beiden anderen Projekte NON EST DEUS und LEIÞA mit gleich mehreren Alben bedacht. Nichtsdestotrotz war der Bamberger Einzelkämpfer auch als Kriegsberichterstatter keineswegs untätig, veröffentlichte mehrere EPs sowie Singles und brachte sein Erster-Weltkriegs-Projekt eindrucksvoll auf die Bühne. Ob der Mann auch mal schläft, ist nicht bekannt; Zeit für das zweite KANONENFIEBER-Album „Die Urkatastrophe“ hat er trotzdem gefunden.

KANONENFIEBER schlagen die Brücke zum Debüt

Das schlägt nach dem unheilvollen Intro „Grossmachtfantasie“ mit der ersten Single „Menschenmühle“ auch prompt die Brücke zum Debüt und fasst den menschenverachtenden Wahnsinn des Ersten Weltkrieges unter Blast-Gewittern und Stakkato-Riffs erschreckend trefflich zusammen. Von der anfänglichen blinden Kriegsbegeisterung führt der bruchstückhaft runterexerzierte Text durch die verschiedenen Kriegsschauplätze bis hin zum sinnlosen Massensterben an der Front und es sind Textzeilen wie „Weihnachten sind wir zuhaus“ oder „die Welt von Blut und Schlamm bedeckt“, die einen auch später immer wieder heimsuchen.

Was folgt, ist die von KANONENFIEBER bereits bekannte, überaus eigenständige Mischung aus melodischem Black- und Death Metal, der einerseits mit Hooks nicht geizt, andererseits aber stets entweder von unterschwelliger Melancholie oder Angriffslust beseelt ist. Die Texte von Noise basieren erneut auf Originaldokumenten und Erfahrungsberichten, die dem Schrecken des großen Krieges ein Gesicht verleihen, ohne dabei irgendwas zu glorifizieren. Klar, ein Song wie das treibende „Sturmtrupp“ mag zunächst heroisch wirken, verhehlt jedoch zu keiner Zeit den lebensverachtenden Irrsinn, den ein Sturmangriff durch das Niemandsland auf feindliche Frontlinien mit anschließendem Grabenkampf bedeutet haben muss.

„Gott mit der Kavalerie“ schlägt in eine ähnliche Kerbe, während das Groove-Monster „Panzerhenker“ wie der kleine Bruder von „Dicke Bertha“ rüberkommt. Nach der ungeschönten Darstellung einzelner Kriegsszenarien geht das emotionale „Waffenbrüder“, zu dem HEAVEN SHALL BURN-Gitarrist Maik Weichert ein Solo beigesteuert hat, auch auf die Kameradschaft unter gemeinsam eingezogenen jungen Soldaten ein, deren Freundschaft in der sich schnell manifestierenden grausamen Realität des Abnutzungskrieges oft einziger Rückhalt war.

„Die Urkatastrophe“ beschreibt die grausame Realität des Krieges

Auch wagt sich Noise auf „Die Urkatastrophe“ hier und da ein wenig aus der musikalischen Komfortzone. „Der Maulwurf“ z. B. wirkt wegen der Intonation in den Strophen einerseits und wegen des schunkeligen Refrains andererseits erstmal wie eine Mischung aus EISREGEN und SANTIANO, allerdings ohne Leichenfledderer-Lyrik oder spießbürgerliches Seemannsgarn. Das ist gewöhnungsbedürftig, fügt sich aber dennoch gut ins restliche Material ein.

Die letzten metallischen Töne des Albums verklingen mit der doomigen „Ausblutungsschlacht“, welche den Wahnwitz und die Sinnlosigkeit von Verdun schaurig vertont; die größte Überraschung folgt allerdings danach. Die das Album beschließende Akustikballade „Als die Waffen kamen“ erinnert nämlich sowohl in Vortrag als auch Inhalt ein wenig an TON STEINE SCHERBEN bzw. RIO REISER; so viel Zerbrechlichkeit und Feingefühl hatte zumindest ich KANONENFIEBER bis dahin nicht zugetraut.

Trotz solcher kleinen Exkurse kann man „Die Urkatastrophe“ problemlos als direkte Fortsetzung von „Menschenmühle“ verstehen, wobei insgesamt für mehr Feinschliff gesorgt wurde. Die Produktion von Kristian Kohle ist differenzierter als beim Debüt, der Gesang ist klarer verständlich und erneut tragen historische Sprachsamples zur dichten, unheilvollen Atmosphäre bei. Da manche Stücke hier und da recht ähnlich gestrickt sind, bieten „Der Maulwurf“ und „Als die Waffen kamen“ zudem willkommene Abwechslung.

Die Botschaft von KANONENFIEBER bleibt brandaktuell

Überdies sind die Songs etwas eingängiger geworden, was natürlich irgendwo eine zwiespältige Angelegenheit ist. Denn einerseits lädt so mancher Refrain dazu ein, aus voller Kehle mitzuschmettern, andererseits bleiben einem wegen des Inhalts aber oft die Worte im Halse stecken. Dieser Zwiespalt macht allerdings auch einen Teil der Faszination von „Die Urkatastrophe“ aus.

Ein wenig muss Noise dennoch aufpassen, dass KANONENFIEBER angesichts der wachsenden Live-Präsenz auf immer größeren Bühnen und mit zunehmend imposanter Bühnenshow in Verbindung mit besagter Eingängigkeit nicht irgendwann zum Weltkriegsfasching à la SABATON verkommt. Das ist ob der Gewissenhaftigkeit, mit der er die Thematik bisher angeht, zum Glück erstmal nicht absehbar, denn die Botschaft und die damit einhergehende Warnung ist leider auch heute noch brandaktuell.

13.09.2024

"Musik hat heute keinen Tiefgang mehr." - H.P. Baxxter

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