Kadavar - The Isolation Tapes

Review

Es ist natürlich ein gewisses Risiko dabei, wenn eine Band – hier gegenständlich: KADAVAR – etwas Neues ausprobiert. Das lässt sich hier in gewisser Weise sogar messen. Vergleicht man nämlich deren Ergebnisse in den Soundchecks einmal hinsichtlich des Vorgängers „For The Dead Travel Fast“ und einmal hinsichtlich des hier vorliegenden, neuen Albums „The Isolation Tapes“, dann ist der Unterschied nicht ganz unerheblich. Ich denke, das hat damit zu tun, dass die Berliner nun erstmals unter ihrem eigenen Label Robotor Records veröffentlichen und sich die Freiheit nehmen, mit ihrem Sound einfach mal ein bisschen kreativ zu werden.

KADAVAR entdecken die Krautzone für sich

Aller (Neu-)Anfang ist schwer, aber die Berliner machen ihre Sache auf „The Isolation Tapes“ ziemlich gut. Und den Mut für den ersten Schritt raus aus der eigenen Komfortzone muss man erst einmal aufbringen, wenn man sich bis dato zwar eine passionierte Fanbase durch bisweilen düsteren Retro-/Proto-Rock erspielen konnte, dessen Horizont aber aufgrund der Natur der Materie begrenzt ist. Aber genug um den heißen Brei geschwafelt: Was machen KADAVAR auf „The Isolation Tapes“ denn nun so anders? Nun es wird viel krautiger und vielleicht auch „FLOYDiger“. Maß der werte Kollege Erbaş dem Vorgänger Stoner-/Doom-Einflüsse zu, haben sich die Berliner hiermit von beidem freigeschwommen.

Das Ergebnis ist ein leichtfüßiger, luftiger und erfreulich Jam-lastiger Trip. Songorientierte Cuts kommen dabei nicht zu knapp, wobei sich hier die Retro-Einflüsse entsprechend verlagern. Neben zahlreichen PINK FLOYD-Referenzen schwingen bei „Everything Is Changing“ beispielsweise sogar die BEATLES mit. Doch ebenfalls hoch im Kurs stehen Songs, die mehr die Stimmung in den Vordergrund stellen. Hier nimmt der Sound den Verstand seiner Hörer mit auf eine erfrischend heitere Reise durch fantasievolle Landschaften mit, speziell im eröffnenden Instrumental „The Lonely Child“. Eine Menge flächiger Synthesizer legen dafür die krautige Basis, während der erdige Rock teilweise richtig weit in den Hintergrund rückt.

KADAVAR vollführen einen konsequenten Soundwandel

Ganz besonders der Rausschmeißer „Black Spring Rising“ ist in puncto Synthesizer-Kraut hervorzuheben. FLOYD’sche Gitarrenleads ploppen natürlich gerne weiterhin auf, wie in „I Fly Among The Stars“ oder im dank besagter Licks wunderschön aufblühenden „The World Is Standing Still“. Und diese sind unter anderem der Anker, der die Berliner letzten Endes weiterhin mit wenn auch lockerem Griff am rockigen Boden festhalten. Dazu gibt es treibendere Ausbrüche, die im Falle von „(I Won’t Leave You) Rosi“ fast etwas Rotznäsiges an sich haben, aber gerne mit etwas mehr Schmackes hätten unterfüttert werden dürfen. Ebenfalls rockig, aber wesentlich eleganter tänzelt „Eternal Light (We Will Be Ok)“ durch die Boxen.

Das Songmaterial ist mit seinen legeren Vibes so weit von früheren Songs wie „Tribulation Nation“ entfernt, dass man meinen könnte, hier sei eine komplett andere Band am Werke, wobei Lupus‘ Gesang wiedererkennbar bleibt. Die Konsequenz, mit der sich die Berliner hier über das gesamte Album hinweg seitwärts in die Büsche, pardon: Kräuter schlagen, ist jedenfalls beachtlich. Dazu warten sie mit zum Teil sehr ansprechenden, mehrstimmigen Gesangsharmonien auf, die so klingen, als würden sie sich im Rahmen des Sounds auf natürliche Weise ergeben. Überhaupt: Das gesamte Album fließt einfach nur richtig geschmeidig dahin und lädt seine Hörer ein, dem Flusslauf zu folgen.

Die „Isolation Tapes“ könnten der Beginn von etwas Neuem sein

„The Isolation Tapes“ tragen ihren Namen vermutlich nur aufgrund der Situation, in denen sie entstanden sind. Denn isoliert klingt hier gar nichts. Im Gegenteil: Das Trio spielt richtig befreit auf. Mit einer aufgrund der andauernden Pandemie auf Eis gelegten Tour machten die Berliner frei von entsprechenden Verpflichtungen als Band das einzig Vernünftige: Sie nahmen ein neues Album auf. Okkult-Fans dürfte das alles ein bisschen zu sehr an der Schwelle zum Hippietum kratzen, vor allem wenn man bedenkt, dass deren letztes Album u. a. durch den klassischen Horror inspiriert worden ist.

Dadurch fehlt es „The Isolation Tapes“ ein bisschen an Aufdringlichkeit. Denn das Album fließt hier und da vielleicht etwas zu geschmeidig dahin. Aber etwas Lockerheit ist im Moment vermutlich einfach das Richtige, was wir derzeit brauchen. KADAVAR haben’s gemerkt und nicht nur das richtige Album gegen den Herbstblues eingespielt, sondern die Songs auch noch nahezu nahtlos miteinander verknüpft, sodass sich die Platte wunderbar am Stück hören lässt. Ob es in diese Richtung weitergehen wird, bleibt abzuwarten. Bis dahin unterhalten die „Isolation Tapes“ aber mit wunderbar schrulliger, kreativer Krautkost mit etwas Luft nach oben.

Aber wie oben geschrieben: Aller (Neu-)Anfang ist schwer.

15.10.2020

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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