Judas Priest - Screaming For Vengeance (Special 30th Anniversary Edition)

Review

Als vor 30 Jahren „Screaming For Vengeance“ erschien, hatten JUDAS PRIEST einen nicht unerheblichen Teil ihrer Entwicklung schon zurückgelegt: Optisch sowieso, hatten sich Rob Halford und Co. doch bereits Ende der Siebziger ihrer Bluesrockoutfits entledigt, dafür Leder und Nieten für sich entdeckt und die Harley auf die Bühne gehievt. Aber auch musikalisch, denn JUDAS PRIEST hatten mit ihren Alben „Killing Machine“, „British Steel“ und „Point Of Entry“ zumindest das Gerüst für spätere Taten errichtet. Der gemeinsame Nenner, kurze, kompakte Metalsongs mit ziemlich markanten, bisweilen plakativen Texten, wurde für „Screaming For Vengeance“ denn auch nicht über Bord geworfen.

Unter stilistischen Gesichtspunkten passierte so gesehen nichts wirklich Gravierendes, aber es fühlt sich doch ein wenig so an, als ob das Album eine neue Phase in der Bandhistorie einläutete. Sicherlich: „Screaming For Vengeance“ bedeutete für die Band zunächst einmal den Durchbruch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, und das verdankt das Album in erster Linie dem Radioerfolg von „You’ve Got Another Thing Coming“. Dass das Album aber für die Fans, die ja tendenziell keine Trend- oder Singlehörer sind, ebenso als Schritt nach vorne angesehen wird, gründet sich auf anderen Faktoren.

Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: Das signalfarbene Cover mit dem landenden Raubvogel ist natürlich ziemlich Metal, erst recht der aggressive Titel. Zudem singt Rob Halford aggressiver und kratziger als noch auf den vorangegangenen Werken, und das passt zu den Songs natürlich wie Tattoo auf Glatzkopf. Aber da sind eben auch die zehn Stücke, die jeder für sich stehen, das Album zudem in sich geschlossener, kraftvoller und mächtiger als „British Steel“ und Co. klingen lassen. Angefangen beim mittlerweile klassischen Eröffnungszweiklang „The Hellion“ und „Electric Eye“ bis hin zum flotten Titeltrack bietet „Screaming For Vengeance“ einige Songs, die sich lange im Liverepertoire der Band gehalten haben. Da gibt es zudem den Uptempo-Rocker „Riding On The Wind“, das gemäßigte „Bloodstone“, die Powerballaden (gibt’s das eigentlich noch?) „(Take These) Chains“ und „Fever“ sowie den eingängigen Stampfer „Pain And Pleasure“, die alle irgendwie das gewisse Etwas haben. Nicht zu vergessen die bereits erwähnte Hitsingle „You’ve Got Another Thing Coming“ und das abschließende „Devil’s Child“.

Was später kam, übertraf „Screaming For Vengeance“ lange Zeit nicht: „Defenders Of The Faith“ war Konsolidierung auf hohem Niveau, „Turbo“ Anpassung an den Popmarkt, „Ram It Down“ der Versuch mit der Brechstange, verlorenen Boden wiedergutzumachen. Erst „Painkiller“ läutete ein letztes Mal ein neues, härteres Zeitalter bei JUDAS PRIEST ein. Aber auch das ist schon seit langem Geschichte.

„Screaming For Vengeance“ erscheint nun passend zum Dreißigsten als „Special 30th Anniversary Edition“, und die ist ziemlich fett geworden: Gelungen überarbeitetes Coverartwork, im Booklet einige Livefotos sowie zwei Seiten Liner-Notes vom amerikanischen Musikjournalisten Eddie Trunk. Anders als die remasterten Neuauflagen der übrigen Alben enthält „Screaming For Vengeance“ gleich sechs Bonustracks sowie eine zusätzliche Live-DVD. Fünf der Bonustracks sind Liveversionen von Songs des Albums und so abgemischt, dass sie ein durchgehendes Kurzkonzert ergeben. Der Sound ist vergleichsweise brillant, die Band spielfreudig, Rob Halford in bester Verfassung, und somit macht dieser Bonus absolut Sinn. Diese Frage kann man allerdings beim letzten Bonustrack durchaus stellen – zumindest in diesem Zusammenhang – handelt es sich bei „Prisoner Of Your Eyes“ doch um einen Outtake der „Turbo“-Sessions und somit stilistisch um etwas anderen Stoff.

Bleibt die Live-DVD, und die hat es in sich: Der Silberling enthält nicht weniger als die zwölf Tracks und somit den kompletten Mitschnitt des PRIEST-Konzerts vom 29. Mai 1983 in San Bernadino, California. Allein der Schwenk über die Menge ist beeindruckend, und ansonsten gilt hier dasselbe wie bei den Livetracks der CD: Die Band spielfreudig, Rob Halford nicht nur gut ausgestattet (Sonnenbrille, Lederkäppi, Nieten, Handschellen, Peitschen), sondern auch gut aufgelegt, die Songauswahl gediegen: Von „Electric Eye“ bis hin zu „Hell Bent For Leather“ ist alles dabei, was des Priesters Herz höher schlagen lässt. Interessant ist sicherlich das Behind-the-scenes-Material während des Intros „The Hellion“ sowie – aufschlussreich – das Aufklappen der Verstärkerreihen, durch die der Metal God mit der Harley auf die Bühne fährt. Kameraführung und Bildauswahl ist auf der Höhe der Zeit, an der Bild- und Tonqualität gibt es nichts zu kritteln.

Klassiker, sowohl in der Bandhistorie als auch absolut gesehen, schicke Neuauflage, lohnende Investition. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

18.09.2012

- Dreaming in Red -

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