Es hat sich einiges bei JOURNEY getan seit dem bisher jüngsten Studio-Output “Eclipse”. In den elf Jahren wurde Drummer Deen Castronovo 2015 wegen häuslicher Gewalt verurteilt und musste gehen, gehört aber inzwischen wieder zumindest live zum Line-up der Band.* Die langjährigen Mitglieder Ross Valory (Bass) und Steve Smith (Drums) versuchten in einer (Zitat) “Putschaktion” die Macht vom Kernduo Neal Schon (Gitarre) und Jonathan Cain (Keyboards) an sich zu reißen. Aber auch zwischen Schon und Cain sah es nicht immer rosig aus. So mussten Differenzen beräumt werden, die der Keyboarder durch Trump-nahe Auftritte auslöste. Doch Schon, sein in Manila (Philippinen) ansässiger Wundersänger Arnel Pineda und ihre Kollegen scheinen das alles recht gut verkraftet zu haben, denn JOURNEY ist ein wunderbares Spätwerk gelungen, das nicht nur prächtig inszenierten und edel produzierten AOR bietet, sondern auch weder den Vergleich zu den großen Klassikern (“Frontiers”, “Escape” und Co.) noch den starken aktuelleren Alben (“Eclipse” und “Revelation”) scheuen muss. Die Band beweist ein Mal mehr, dass sie zu Unrecht meist auf “Don’t Stop Believin’” und ähnliche Smasher reduziert wird.
Die Turbulenzen haben JOURNEY außerordentlich gut verkraftet
Für Valory kehrt Americon-Idol-Juror Randy Jackson, der schon auf “Frontiers” (1983) und “Raised On Radio” (1986) zu hören war, zurück in die Band. Die Drums auf “Freedom” spielte Producer Narada Michael Walden ein, der gemeinsam mit Neal Schon und Jonathan Cain auch die allermeisten Songs des Albums schrieb. Deen Castronovo spielte hingegen keine Drums auf “Freedom”, verewigt sich allerdings in “After Glow” als Sänger. JOURNEY-Fans wissen, dass Castronovo über eine ausdrucksstarke Stimme verfügt und bereits 2006 für den erkrankten damaligen Sänger Steve Augeri einsprang, als die Band mit DEF LEPPARD tourte.
Es dauert gerade mal eine Sekunde (und zwar des hinreißenden Openers “Together We Run”), bis einen die unvergleichliche Magie des JOURNEY-Sounds gefangen nimmt. Falls man das angesichts des herrlich klassischen Artworks nicht sowieso schon ist. Pineda singt mit Herz und Seele, Schons vokale Gitarrenlicks sind unverkennbar und verzieren einen unglaublich anmutigen Song, der als Opener nicht hätte besser sein können. Von da an bietet “Freedom” alles, was das AOR- und JOURNEY-Herz begehrt: Fantastische Spielereien mit der eigenen Historie (“Don’t Give Up On Us” zitiert überdeutlich “Separate Ways (Worlds Apart)”, ebenso hätte “Don’t Go” auf jeder Achtziger-Platte stehen können); herzzereißende Schmachtfetzen (“Still Believe In Love”, das großartig gesungene “Live To Love Again”, das gleichzeitig eine “Faithfully”-Hommage ist); kernige Rocker (“The Way We Used To Be”, “Come Away With Me”, “Let It Rain”) und erhabene Epik (der Schlusstrack “Beautiful As You Are” ist ebenso ausladend wieder Opener). Die leicht an PHIL COLLINS erinnernde Nummer “All Day And All Night” stört den Albumfluss dabei weniger als die blueslastigeren Nummern (“Come Away With Me”, “Let It Rain”).
“Freedom” ist ein ideales Spätwerk
Es bleibt dabei: Auch nach fast 50 Jahren Bandgeschichte, unzähligen Alben und noch unzähligeren Hits und Klassikern, die gerade wieder einer neuen Generation zugänglich gemacht werden (“Sperate Ways” findet sich aktuell prominent in der Netflix-Serie “Stranger Things”), müssen JOURNEY eigentlich niemandem etwas beweisen. Schön ist, dass sie’s dennoch schaffen. Im Melodic Rock sind JOURNEY das Maß aller Dinge. Sie werden von begnadeten, leidenschaftlichen Musikern vorangetrieben, die hoffentlich noch viel von ihrer Kreativität für weitere Alben wie “Freedom” besitzen. Definitiver Kauftipp für dieses Album!
* Wir kennen die näheren Umstände der erneuten Zusammenarbeit nicht und distanzieren uns selbstverständlich von häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch. Unter 08000 116 016 oder hilfetelefon.de kann vertraulich und anonym Hilfe für Opfer eingeholt werden. (JW)
Ein gutes Album, jedoch ein wenig zu lang geraten und somit auch mit doch ein paar Lückenfüllern (Still Believe in Love, After Glow, Life Rolls on). Insgesamt doch recht gelungen und ein gutes aber nicht überragendes Alterswerk. Highlights: The Way we used to be, Live to Love again, Holdin On, Come away with me.