Wie toppt man ein Album wie „Nattfiolen“? Für JORDSJØ ist die Antwort eindeutig: Gar nicht. Deshalb kommt das Duo bestehend aus Håkon Oftung (u. a. TUSMØRKE) und Kristian Frøland nun wieder ein Stück weit aus dem Wald heraus und legt mit „Pastoralia“ ein neues Album vor, das wieder anders klingt als zuvor und eher dort weitermacht, wo der Zweitling „Jord“ seinerzeit aufgehört hat – als Rausschmeißer fungiert sogar der dritte Teil des ursprünglich zweiteiligen Titeltracks ebenjenes Albums. Der folkige Prog ist nach wie vor das, was man bei dem Duo serviert bekommt, wird nun aber wieder vermehrt mit klassischeren Prog-Elementen versetzt. Nicht, dass „Nattfiolen“ diese Spurenelemente nicht auf aufgewiesen hätte.
Das norwegische Duo kehrt mit „Pastoralia“ ein Stück aus dem Wald zurück
Der Unterschied ist aber, dass es auf dieser neuen Platte, die übrigens erneut unter Beihilfe diverser Gastmusiker stilecht im Keller der Bjørnerud Farm in Våler aufgenommen worden ist, wieder rockiger, aber auch jazziger wird. Praktisch jeder Song schweift gern so ein bisschen ab und begibt sich dann auf eine kleine, verspielte Reise. Irgendwie deckt sich das mit der zentralen Thematik von Träumereien und dem Verlangen nach Freiheit. Das titelgebende „Pastoralia“ übrigens soll so eine Art utopischer Ort sein, wo – so die Presseinfo – jeder Tag wie eine tropische Nacht anmutet und die Waldleute um Lagerfeuer herumtanzen. Gleichzeitig schielen JORDSJØ wieder vermehrt gen Großbritannien, wobei der zurückhaltende Gesang weiterhin in der Landessprache der Norweger vorgetragen wird.
Dadurch erscheint „Pastoralia“ im ersten Moment lange nicht so zugänglich wie sein Vorgänger, ist dafür aber wieder vollgestopft mit Referenzen an klassischen Prog und damit ein vortrefflicher Jagdgrund für progressive Trüffelschweine. Der klassische Prog begegnet einem zum Beispiel in Form von JETHRO TULL-Vibes, die in „Skumring I Karesuando“ hervor treten. Das beschwingte Querflöten-Lead, getragen von der leicht angezerrten Gitarre, klingt einfach original wie Ian Andersons Rasselbande in ihren besten Jahren. Mittendrin verläuft sich der Track dann so ein bisschen im Wald und nimmt dabei deutlich folkigere, teils gar mittelalterliche Einflüsse mit, wobei letztere Prog-typisch mehr in der Renaissance als auf dem zeitgenössischen Mittelaltermarkt beheimatet sind – man denke z. B. an GRYPHON. Vor allem das quirlige „Vettedans“ lässt an diese, aber auch an GENTLE GIANT denken.
JORDSJØ bieten erneut tief in sich verschlungene Klangkunst
Die Referenzen sind also nicht auf JETHRO TULL beschränkt, waren sie bei JORDSJØ aber ohnehin nie. Das macht die Annäherung an den Sound einfach nur leichter, zumindest wenn die Herren die Querflöte in den Mittelpunkt des Geschehens rücken. Aber wenn sie das eben nicht tun, kommen die restlichen Einflüsse umso besser zur Geltung. Das Instrumental „Fuglehviskeren“ beispielsweise wird von einem hypnotischen Motiv auf der Akustischen angeleitet, während sich im Hintergrund ein herrlich blubbernder Kontrabass sowie etwas, was wahrscheinlich eine Bassklarinette ist (ja, ich oute mich mal wieder als passionierter Laie), tummeln. Das klingt einfach nur richtig angenehm und zeigt wieder einmal, wie sehr sich der Fokus auf organische Instrumente bei den Norwegern auszahlt.
Als Kontrast dazu dient etwa ein „Mellom Mjodurt, Marisko Og Sostermarihånd“. Der Track ist etwas rockiger und deutlich klarer um sein wiederum angenehm beschwingtes Hauptmotiv herum strukturiert. Das wird anfangs von der Querflöte vorgestellt. Zum Ende hin aber ist es die Gitarre, die das Motiv erneut aufgreift und in einen vergleichsweise beherzt nach vorne treibenden Kontext setzt. Wiederum mittendrin schweift der Song in progressivere Sphären ab, die nun deutlich atmosphärischer und lautmalerischer in Szene gesetzt sind als auf dem vorangegangenen Track. „Beitemark“ geht ebenfalls etwas rockiger zu Werke, wird mittendrin sogar richtig peppig. Der atmosphärische Schlussteil beschwört dann die klassisch britischen Siebziger mit bedeutungsschwangeren Mellotron-Klängen herauf.
Eine faszinierende, progressive Traumreise
Lange Rede, kurzer Sinn: JORDSJØ und Gefolgschaft beschwören mit „Pastoralia“ Songs herauf, die durch ihre Neigung, auf musikalische Wanderschaft durch unwirkliche Klanglandschaften zu gehen, sowie seiner wieder etwas jazzigeren Schlagseite etwas seltsam Traumartiges haben. Dadurch wird die magische Naturmystik des Vorgängers ein bisschen verdrängt. Nichtsdestotrotz ist „Pastoralia“ aber in der Tradition der Norweger ein hervorragendes Album geworden voller verspielter Melodien. Vielschichtig und komplex arrangiert wird man dank der Gediegenheit des Dargebotenen und der glasklaren, organischen Produktion jedoch kaum erschlagen, sondern viel mehr zum Verweilen in dieser faszinierenden Traumwelt eingeladen.
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