Viel reden, nichts sagen. Manche Bands verbrauchen ein ganzes Album, nur um am Ende mit völlig leeren Händen dazustehen. Nicht so die US-Band JOLLY. Aus New York senden sie ihre erste offizielle, musikalische Visitenkarte in die Welt und beweisen damit eine Klasse, mit der sie den Großteil ihres Standes bereits hinter sich lassen könne. Schön auch zu sehen, dass sich trotz Massenüberflutung des Marktes und der allgegenwärtigen ‚Krise‘ immer noch Labels finden, die ein Gespür für solch‘ großartige Musik zeigen.
Nichts anderes findet man auf „Forty-Six Minutes, Twelve Seconds of Music“ (oder kurz „46:12“), ein Titel, der fast schon Bescheidenheit ausdrückt. Hinter diesem simplen Statement stecken 46 Minuten beeindruckende, fesselnde Musik, eine Reise entlang der Pfade von Progressive und Alternative Rock, eine Art Klassentreffen mit TOOL, A PERFECT CIRCLE und DREAM THEATER – Musik, die viel zu erzählen hat. Songs, in denen Härte und Melancholie aufeinandertreffen; zarte und elegische Momente voller Poesie, die sich in verträumten Pianoklängen niederschlägt; Adrenalin-haltige, treibende Passagen, erdiger Rock.
JOLLYs geschwungene Handschrift in den Kompositionen sorgt immer wieder für kleine und große Höhepunkte, magische Augenblicke mit einer ganz speziellen Atmosphäre, in denen sich klar abzeichnet, dass sich die Band trotz hörbarer Einflüsse eine eigene kleine Nische erspielt hat. Ob das orchestral bombastisch wirkende „Renfaire“, die starken Gitarrenlinien in „Downstream“ und „Carousel Of Whale“ oder die Keyboards in „Solstice“ – JOLLY lassen zu keiner Sekunde nach, steigern sich in dieses Erlebnis hinein und eröffnen immer wieder kleine musikalische Nebenschauplätze. Wie auf einem Jahrmarkt, auf dem die unterschiedlichen Attraktionen mit bunten Lichtern und lautem Getöse den Besucher stets in eine andere Richtung locken, nur dass hier der Zuhörer zwischen aller Variation und Vielseitigkeit nicht verloren ist. Großstadtzirkus, nächtliches Wandeln durch verlassene Straßen, auf dem Felsen zwischen wogenden Wellen stehen, alltägliche Hektik, stoische Gelassenheit und die zerbrechliche Schönheit eines einzigen Moments – all diese Stimmungen vereinen sich auf „46:12“.
Wer könnte sich diesen Melodien, der charismatischen Stimme von Sänger und Gitarrist Anadale widersetzen? Für den letzten Feinschliff am Soundtrack für das Kopfkino zielt die vierköpfige Band auf das Unterbewusstsein, mit sog. „binauralen Tönen“. Das ist eine Wissenschaft für sich, aber in aller Kürze kann man sagen, dass hier u.a. anders als beim Stereo-Mix die Aufnahme direkt auf Kopfhörerlautsprecher ausgerichtet ist. Nicht nur das räumliche Hörerlebnis kann hier beeinflusst werden, sondern besondere Frequenzbereiche stimuliert werden, was jeweils unterschiedliche Wirkung auf die Gehirnwellen entfalten kann. Oha, ’subliminal messages‘? Gehirnwäsche? Ob nun mit oder ohne akustische Tricks und Spielereien, die Musik überzeugt für sich selbst, und das ganze 46 Minuten.
JOLLY sind für mich eins dieser schönen Myspace-Erlebnisse: Man ahnt nichts, erwartet nichts, und dann taucht plötzlich diese Band als eine unter tausenden in der Masse auf und braucht nur eine halbe Hand voll Songs, um mich sofort in seinen Bann zu ziehen.
Sehr gutes Album, überragend in diesem Genre. Der Refrain von "Downstream"… zum Helden/-innen zeugen.