John Wray - Unter Wölfen

Review

Mitten in der Entwicklung des Metal in den späten 1980ern beginnt John Wray mit seinem Roman “Unter Wölfen“. Hier treffen sich unsere drei Protagonisten Kip, Leslie und Kira in Venice, Florida und lernen nicht nur einander, sondern auch und vor allem Death Metal während der nächsten Jahre kennen, in denen der Leser die drei jungen Erwachsenen bei dem Versuch begleitet, ihre Probleme und Familien und vor allem Venice hinter sich zu lassen. Dabei hat Metal in “Unter Wölfen“ nicht nur eine Inspirationsfunktion, sondern spielt eine zentrale Rolle. Dass CANNIBAL und CORPSE das fünfte und sechste Wort in Wrays Roman sind, sollte ein klarer Indikator dafür sein.

“Unter Wölfen“ fängt das Lebensgefühl der Metalszene der 80er ein

Abgesehen davon gibt es noch einige andere Motive, die sich durch den ganzen Roman ziehen. Gewalt jeglicher Art, Homophobie und Drogenmissbrauch sind nur einige davon und geben ein Gefühl dafür, wie trostlos, grau und abwechslungslos das Leben in Armut in Venice war. Deswegen stürzen Kip, Kira und Leslie sich Hals über Kopf in den Metal. Mit dem Paradox aus der Sehnsucht nach Eskapismus und dem gleichzeitigen Bedürfnis, von möglichst harter Musik wachgerüttelt zu werden und die Realität zu spüren, kann sich sicher der eine oder andere Metal-Fan identifizieren.

Der Roman ist in die Akte „Venice“, „L.A.“ und „Bergen“ unterteilt in jedem der Abschnitte entwickeln sich nicht nur die Protagonisten und ihre Beziehungen, sondern auch ihr Musikgeschmack weiter. Dass es in „Bergen“ schlussendlich um die ersten Bewegungen des Black Metal geht, dürfte dabei nicht überraschen. Immer wieder begegnet der Leser unterwegs auch den realen Akteuren der Metalszene der 80er Jahre. Über Lemmy – oder zumindest Lemmy-Lookalikes – im Whisky a Go Go bis hin zu etwas polarisierenderen Figuren in Oslo und Bergen.

John Wray kontrastiert krasse Handlung mit nüchternem Schreibstil

Wrays Protagonisten sind dreidimensional und authentisch. Jeder der Charaktere hat seine eigene Stimme, seine eigenen Probleme und macht im Laufe des Romans seine eigene Entwicklung durch. Dadurch, dass “Unter Wölfen“ in der dritten Person geschrieben ist und die Protagonisten wortkarg bis verschlossen sind, muss der Leser allerdings selbst einiges an Arbeit leisten, um die Emotionen, Gedanken und Beweggründe der einzelnen Charaktere zu verstehen.

Auch der sachliche und nüchterne Schreibstil hilft nicht unbedingt für ein immersives Erlebnis und macht es schwer, eine emotionale Bindung zu Kip, Kira und Leslie aufzubauen. Der Kontrast zwischen dem neutralen Schreibstil und der krassen, stellenweise sehr blutigen und gewalttägigen Handlung auf der anderen Seite lässt den Inhalt noch trost- und auswegloser wirken.

Lesenswert trotz einiger Schwächen

“Unter Wölfen“ zeigt die „guten alten Zeiten“ auf eine vermutlich recht authentische, aber desillusionierte Art und Weise. Die Story ist etwas wirr und einige der prominenten Metalpersönlichkeiten der 80er und 90er Jahre, denen der Leser in der Geschichte begegnet, haben der Handlung eigentlich nichts hinzuzufügen, sondern sind nur da, weil John Wray sie vermutlich gern einmal schreiben wollte. Außerdem hätte der Roman sicher ein anderes Ende oder zumindest das Streichen des Epilogs verdient.

Trotz allem ist “Unter Wölfen“ ein lesenswertes Buch für jeden, der in Erinnerungen an CANNIBAL CORPSE, SLAYER, ANTHRAX, MORBID ANGEL und schließlich MAYHEM und EMPEROR schwelgen möchte – und für jeden, für den Metal wie für Kip, Kira und Leslie nicht nur gleichgültige Selbstbestrafung bedeutet, sondern vor allem den verzweifelten Versuch, etwas Reales in einer Welt voller Belanglosigkeiten zu finden.

02.08.2024

"Es ist gut, aber es gefällt mir nicht." - Johann Wolfgang von Goethe

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1 Kommentar zu John Wray - Unter Wölfen

  1. GDoe sagt:

    Ein ganz hervorragendes Buch. Über den teilweise kalten Schreibstil bin ich anfangs auch gestolpert, er unterstreicht aber gut die Hoffnungslosigkeit der Handlung. Eigentlich war ich wegen des Death Metal-Bezugs an dem BUch hängengeblieben, am meisten gefesselt hat mich dann tatsächlich der dritte Teil, in dem es um den norwegischen Black Metal aus der großen Zeit der Kirchenbrandstiftungen und szeneinternen Morde geht. Besonders bemerkenswert die Auftritte von Samoth und Varg Vikernes, die berechtigterweise beide nicht gt wegkommen. Soweit ich es mit meinem soliden Halbwissen einschätzen kann, hat der Autor auch viel Ahnung von dem, worüber er schreibt.

    10/10