Nach der letzten EP „Silver“, die etwas vielschichtiger klang als seinerzeit das erste vollständige Album, war ich gespannt, welchen Weg Ex-GODFLESH-Kopf Justin Broadrick nun mit dem Folgealbum einschlagen würde. Klar, zu große Veränderungen oder gar Stilbruch waren, bzw. sind nicht zu erwarten, jedoch macht auch Kleinvieh bekanntlich Mist und so war es halt für mich spannend zu sehen, ob das Prinzip der EP übernommen und diese somit nur ein Schmankerl auf das neue Album darstellt, oder ein weiterer, richtiger Schritt nach vorne vollzogen wird. Nun, Letzteres ist der Fall und deswegen kann man aufgrund der scheinbar unbändigen Kreativität dieses Musikers nur aufhorchen.
„Conqueror“ heißt das neue Werk JESU‘ und es gilt, das bekannte Feeling des ureigenen Bandsounds aufrecht zu erhalten, allerdings mit einigen erweiterten Feinheiten. Als erstes fällt sofort auf, dass „Conqueror“ nicht durchgehend von Lava-artigen Soundwänden dominiert wird, wie es noch auf dem selbstbetitelten Debut-Album der Fall war, sondern mitunter auch den einen oder anderen geregelten Beat innehat. Dominierten früher nahezu ausschließlich schwerfällige Rhythmen und langsame, zähfließende Klangkonstruktionen, besticht „Conqueror“ durch abwechslungsreiche Arrangements und kleine, aber feine Veränderungen in der Performance der einzelnen Tracks. Der Opener „Conqueror“ und das folgende „Old Year“ kommen schleppend bis schwerfällig daher, „Transfigure“ mit fast schon freundlichem Beat, „Weightless & Horizontal“ dagegen eher zurückhaltend und leise; „Medicine“ wirkt relativ verspielt, gefolgt vom ebenfalls schleppenden „Brighteyes“, dem fließenden „Mother Earth“ und dem mit positiv wirkendem Schlagzeugspiel versehenen Rausschmeißer „Stanlow“.
Selbstverständlich regiert eine grundsätzlich melancholisch und verträumte Stimmung, was mich nach wie vor an dieser Band beeindruckt. Musik ist grundsätzlich Geschmacksache, der Eine mag es, der Andere nicht; so wird auch der Eine am Ende dieser Rezension sagen, dass das hier alles Gülle ist und der Andere sich die Finger wundlecken. Eines jedoch kann man JESU nicht absprechen: Dass diese Band Feeling verbreitet!
Es gibt so viele Bands und Musiker, die darauf bedacht sind, brachial und energetisch zu sein, den Hörer in den Schwitzkasten zu nehmen und ihm die Gelenke zu verdrehen, aber Bands, die es schaffen, intensive Emotionen zu verbreiten und echtes Feeling rüberzubringen, existieren definitiv nicht wie Sand am Meer, und genau hier liegt die Stärke bei JESU. Das Gespann Justin Broadrick, Ex-SWANS-Drummer Ted Parsons und Basser Diarmuid Dalton hat ein fantastisches Gespür für weiträumige Sounds und atmosphärisch dichte Kompositionen. Nicht das Riff steht im Vordergrund oder ein eingängiger Refrain, der sich zwingend vom Rest des Songs abheben muss, sondern die Gesamtheit des Liedes muss funktionieren. Es soll etwas transportiert werden, ein Gefühl, eine Emotion, ein kleiner Tod für sich.
Unterstützt wird diese großartige Musik vom ebenfalls perfekt integrierten Gesang Broadricks, der sich, für alle die es kennen und sich erinnern, an den klaren Gesang von GODFLESH orientiert. Hall, lang gezogene Silben und melancholische Tonfolgen runden das depressive Erscheinungsbild der Stimme ab, verbinden sich mit der Musik zu einem regelrechten Klagewerk und versetzen den Hörer, der sich dieser Soundweite öffnen kann, in eine Art Trancezustand.
Eine klare, aber dennoch klug nuancierte Produktion tut das Übrige, um die wummernden Bässe und die atmosphärischen Gitarren perfekt in Szene zu setzen. Hier passt einfach alles zusammen! Müsste ich diese Musik in Bilder ausdrücken, könnte ich mir folgendes Szenario vorstellen:
Du stehst auf dem Sims eines Hochhauses im 70sten Stock, der lauwarme Wind umweht schmeichelnd die nackte Haut. Du schaust hinunter in den Moloch der Großstadt und wieder hinauf in den klaren Himmel der Sommernacht und versuchst zu ergründen, warum das alles überhaupt geschieht, warum genau jetzt und hier…
Ein melancholisches, aber entspanntes Gefühl von Endzeitstimmung umklammert die Seele und macht klar, dass hier eine Reise endet und eine neue beginnt….
„Conqueror“ ist ein Album der tiefen Emotionen. Perfekt, um eine Reise ins eigene Ich anzutreten; perfekt, um alles Alltägliche für eine Stunde hinter sich zu lassen. Nutzt diese Chance!
Vielleicht mögen manche in dem Brei Emotionen erkennen, aber nachdem ich mich durch die ersten beiden Tracks gequält hab‘ hat es aufgehört, ich konnte nicht weiterhören. Eine dickflüssige Pampe aus Tönen, Rauschen und billigen Melodien versucht sich in meine Ohren zu fressen. Wenn man Ruhe, Emotionen aber trotzdem auch E-Gitarren und Schlagzeug nicht missen will sollte man auf Solitude Aeturnus oder Monkey 3 zurückgreifen. ‚Alone‘ bzw. ’39 Labs‘ sind geniale Alben welche genau das meistern woran diese Sülze kläglich scheitert. Außerdem ist der Gesang eine Zumutung.
Das Album ist genial. Irgendwie eine Art Industrial Doom. Nicht zu vergleichen mit Bands wie Solitude Aeturnus oder so. Das liegen Welten zwischen. "Conqueror" geht sehr in die Tiefe. Ein schönes Album zum träumen. Aber vorsicht: Kein Metal!