Puuuuh… Was ein Albumtitel. Aber das passt in das Portfolio der Krefelder JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE, die schon für den großartigen Vollzeitvorgänger „Verk Ferever“ ein bewusst Spotify-feindliches Text-To-Speech-Intro namens „Sozialisationsschaden“ gepackt haben. Da ergibt es Sinn, dass sie für ihr neues Album „Neues aus dem Halluzinogenozinozän“ einen Titel wählen, der sich gegen das Konzept von „Search Engine Optimization“ sträubt und dem Verfasser dieser Zeilen den ein oder anderen Knoten in Zunge und Finger beschert hat. Statt Bläsern ist das neue Gimmick eine Handvoll GastsängerInnen, die immer wieder auftauchen. Ansonsten sieht hier alles auf den ersten Blick sehr vertraut aus: 13 Tracks in 30 Minuten, gewohnt sportlich, sieht nach Grindcore aus.
Halluzinogenoni… Hallzinogenozinän… Hallizungenizo… hä?
Ha! Denkste. Es klingt definitiv noch nach JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE und lässt gelegentlich noch einmal Grindcore anklingen wie zu Beginn von „Lass deinen Müll auf dem Festivalgelände liegen“, vermehrt wird hier aber mit fetten Midtempo-Grooves gearbeitet, wobei sich die Krefelder ihre Härte und Tightness bewahrt haben. Und noch etwas: „Neues aus dem Halluzinogenozinozän“ legt hohen Wert auf eine Experimentierfreude, die bei den Krefeldern zwar vor allem auf ihren jüngeren Veröffentlichungen immer präsent gewesen ist, hier aber richtig deutlich zum Vorschein kommt. Das äußert sich in einer Mannigfaltigkeit von verschiedenen Einflüssen, die in das Album hineinfinden hin zum Punkt, wo man die Platte fast ein bisschen in die Crossover-Sparte stecken möchte.
„Der Schweinetransport“ beispielsweise wirft einen Rap-Vers inklusive passendem Beat mittenrein in einen Song, der ansonsten ziemlich heavy drückt. In „Familie fährt mit Auto“ stehen zunächst Thrash-artige Stakkato-Riffs im Vordergrund, doch im weiteren Verlauf kommen Electro-Beats und World Music-Einflüsse hinzu. Am Ende geht das sogar so weit, dass cheesy EDM-Synths den Song ausklingen lassen, die so klingen als hätten sich die Krefelder das Zeug mal eben schnell von ESKIMO CALLBOY ausgeborgt. Das beeindruckendste daran: Es funktioniert. Die Herren verweben das in einen vielschichten Kracher, der einfach nur wie aus einem Stück gegossen fließt, komplett mit geschmeidigen Übergängen zwischen den einzelnen Passagen.
JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE liefern ein Album wie (fast) aus einem Guss
Eine Djent-Komponente wird in „Deutsches Handwerk“ sowie beim Instrumental „Madal2“ aufgegriffen, wenn sich triolische Riffs an einen gemächlichen Midtempo-Groove reiben. Und wo wir es gerade von weltmusikalischen Einflüssen hatten: Das Instrumental „Madal1“, Schwesterchen zu „Madal2“, arbeitet ebenfalls mit World Music, spezieller mit orientalischen Einflüssen, wobei auch die Elektro-Einflüsse noch einmal auftauchen. „Halt deine Fresse“ klingt ein – wenn man die massive Distortion durchdringt – ein bisschen so, als würde das Grundriff „Master Of Puppets“ paraphrasieren wollen, zumindest bis zur Hook, die schneidende Black-Metal-Gitarren in einem erhabenen, Moll-getränkten Melodiebogen verwebt. Daneben gibt es bekannte Stilelemente wie die kreischenden Math-Licks, die beispielsweise in „Erregte Männer auf der Venus“ (Anwärter auf Songtitel des Jahres) auftauchen.
Doch sind es nicht nur frischer, experimenteller Wind sowie die Gaststimmen, die das Songmaterial aufwerten (allen voran Olgaczka von Kaczka, deren Gesang zum Beispiel in „Drohnenangriff auf unsere Werte“ zu hören ist), auch zeichnet sich „Neues aus dem Halluzinogenozinozän“ durch eine Menge fließender Übergänge zwischen den Stücken aus. Das Album hat dadurch einen sensationellen Flow, bei dem das Hören der Platte in einem Stück einfach nur richtig viel Spaß macht. Einzig der instrumentale Rausschmeißer „Superspreader“ fällt so ein bisschen aus dem Rahmen, da ihn schon eine angesichts des ansonsten relativ straffen Flusses der Platte fast unbequeme Pause vom vorausgehenden Track „Trauerorgasmus“ trennt, geradezu isoliert.
Neue Experimentierfreude, alter Zorn
Und lyrisch weiß man ohnehin, was man hier erwarten kann: Jede Menge Sozial- und Konsumkritik, die selten subtil, aber stets zielgenau platziert ist. Am effektivsten gestaltet sich dahingehend tatsächlich das eröffnende „Mantra“, das wie das deprimierend realistische Abbild einer Gesellschaft von unkritischen Jasagern wirkt, aus deren fast roboterartigen „Sehr gut, sehr gut, ja, ja!“-Rufen das titelgebende Mantra gebildet wird. Das gesangliche Tandem Martin Freund/Christian Markwald funktioniert nach wie vor wunderbar und hält das Gleichgewicht zwischen Aggression und Verständlichkeit, während der Sound genauso gut knallt wie auf dem Vorgänger. Evolution mit Stil also.
Selbst mit gedrosseltem Tempo ballern JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE also spielfreudig, relevant und direkt ins Blut. Da verzeiht man ihnen auch mal, wenn „Familie fährt mit Auto“ im Mittelteil vielleicht ein bisschen zu penetrant auf einem Riff herum reitet…
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