Jack Dupon - Toucan

Review

Die Art und Weise, wie international der Metal bzw. die Musik im Allgemeinen geworden ist, macht es zunehmend schwer, beim ersten Hör auf die Herkunft der Musiker zu schließen. Manchmal hört man das jedoch einfach heraus. Überdramatischer Power Metal mit jeder Menge romantisch überspitzten Orchestral-Einlagen? Da liegt man üblicherweise richtig, wenn man direkt an eine italienische Band denkt, bei der jedes einzelne Mitglied wie aus dem Ei gepellt aussieht. Beim hier zu besprechenden Album ist es ganz ähnlich. Denn in dem Moment, in dem JACK DUPON vom Geiste Louis De Funès‘ beseelt mit dem Titeltrack ihres siebten Studioalbums „Toucan“ zur Türe reinplatzen, weiß man einfach sofort, dass das Trio aus Frankreich kommt.

Ein „Toucan“ macht Lärm

Denn nur eine französische Band kann so einen schrägen, seltsamen Quark inszenieren, der seine Hörer in genussvoller Ratlosigkeit zurücklässt. Ratlosigkeit herrscht zuvorderst darüber, wie die Herren hier überhaupt ein derart fließendes Produkt produzieren konnten. Denn Refrains geschweige denn zyklische Songstrukturen sucht man auf „Toucan“ vergebens. Die Herren aus Clermont Ferrand spielen etwas, das man vielleicht am ehesten als Jam-artige Mischung aus Grunge, Post-Punk und jeder Menge sporadischer Prog-Energie bezeichnen kann. Das reicht von lärmenden Improvisationen frisch aus den Garagen der Neunziger hin zu absolut hochwertigen Arabesken der Marke KING CRIMSON um die Zeit zwischen „Larks‘ Tongues In Aspic“ und „Discipline“ herum.

Gitarre und Bass führen einstweilen quicklebendige Zwiegespräche wie zu Beginn von „Zombie“, während sie in anderen Momenten atmosphärisch mit- oder gegeneinander spielen wie in „Garagiste“. Und es groovt wie Sau, was sicher auch an der stoischen Rhythmik liegt, die Thomas Larsen unter das merkwürdige Geschehen legt. So klingt der Beat des eröffnenden Titeltracks zu Beginn ein bisschen wie der Marsch eines übergewichtigen Cartoon-Gorillas, der seine Paarungsbereitschaft verkündet hat. „Garagiste“ hat einen unfassbar funkigen Beat verpasst bekommen, der den Kopf auf angenehmste Weise zum rhythmischen Nicken animiert. Und „Pyjama“ fährt dahingehend teilweise noch intensiver in die Hüftgegend.

JACK DUPON und das sporadisch inszenierte Kalkül

Einfach machen JACK DUPON den Genuss für Gelegenheitshörer jedoch nicht. Denn statt radioformatiger Harmonien gibt es verschlungene Dissonanzen, Tritoni und chromatische Tonfolgen en masse, die aber mit Präzision und Stil abgefeuert werden und gerne etwas Cartoon-artiges an sich haben. Üblicherweise fügen sich die Motive aus oszillierenden, schwer groovenden Linien zusammen und bilden eine sinnige Einheit, wenn die Gitarren nicht gerade freiförmig und paradiesvogelartig herum quaken wie im Titeltrack. Das Geniale dabei ist, wie geschmeidig die Übergänge zwischen den einzelnen Motiven gestaltet sind. Und genau das ist das Geheimnis hinter dem sensationellen Hörfluss und dem geradezu hypnotischen Sog, den „Toucan“ auf seine Hörerschaft ausübt.

Und dann ist da noch der Gesang. Der hat einen ganz ähnlichen, sporadischen Anschein wie die Musik drum herum und reicht von marginal bis moderat animiertem Sprechgesang über eine neurotische David Byrne-Gedenk-Intonation hin zu verzerrtem Geraunze und Geschimpfe frisch aus den MUDHONEY-Archiven. Oh und Apropos: JACK DUPON lieben Vocal-Effekte und setzen diese gerne freizügig ein. Das reicht von klassischer Distortion über bescheuerte Warble- und dämonisch anmutende Doppler-Effekte hin zu etwas in „Nouvelle Tete“, das wie ein GUTALAX-Cameo klingt. Und was genau um die 5:21-Minuten-Marke von „Muté“ abgeht, weiß unsereins selbst nach zweimonatiger Dauerrotation immer noch nicht.

Sind sie da unten? Nein. Sind sie oben? Ja.

Und irgendwie sind die Texte teilweise schwer zu durchschauen, wie man bei derartiger Musik auch erwarten würde, und man weiß nie so recht, was ernst gemeint ist oder was nicht – oder ob sich die Band einfach durchgehend über ihre Hörer lustig macht. Da wird einerseits über den titelgebenden Tukan gesungen, der als lärmender König des Dschungels mit der Elephantennase [sic!] bezeichnet wird. Mittendrin heißt es dann:

Ils sont en bas? Non. Ils sont en haut? Oui.
(Sind sie da unten? Nein. Sind sie oben? Ja.)

Ich meine, wo sollen die Vögel auch sonst sein, gell? Im folgenden „Zombie“ scheint es sogar richtig finster zu werden. Aber dann stolpert man über „Garagiste“ und so Nonsens-Schnipsel wie hier:

J’ai des problémes pour conjuguer le verbe „garager“.
(Ich habe Probleme bei der Konjugation des Verbs „Garage“)

Ehm … jaaaaaa … Und natürlich folgt dann die gesamte Konjugationsreihe des „Verbs“, denn wer A sagt muss auch B sagen …

Wenn Ihr, werte Leser, jetzt keine Ahnung habt, was Ihr Euch nach der gegebenen, oder sagen wir mal lieber: versuchten Beschreibung von „Toucan“  unter der Musik von JACK DUPON vorstellen sollt … dann kann man dem Trio vermutlich nur gratulieren. Einerseits sind die verwendeten Elemente vertraut und man bewegt sich primär im rockenden Sektor mit Hang zum Lärm, doch aus diesen konventionellen Zutaten wurde so ein seltsames Werk geschaffen, dass es fast schon verstört. Und doch übt „Toucan“ einen faszinierenden Sog aus, mit dem das Album trotz des durch die pure Schrägheit wie vernagelt wirkenden Zugangs immer wieder zurück in die Rotation findet. Seltsam? Seltsam. Aber eben auch ziemlich großartig.

04.09.2024

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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