JAAW sind eine Supergroup gegründet von Jason Stoll (MUGSTAR), Andy Cairns (THERAPY?), Adam Betts (THREE TRAPPED TIGERS) und Wayne Adams (DEATH PEDALS), die es sich zum Ziel gesetzt haben, den Industrial Metal der Neunziger ins Jahr 2023 zu holen. Die Presseinfo beschreibt das dergestalt, dass – mal kurz gefasst – alte MINISTRY auf LIGHTNING BOLT treffen. Vielleicht mit ein bisschen NINE INCH NAILS und – in den extremeren Momenten – SPINESHANK dazwischen, nur mal so als Anhaltspunkt. Dabei sind sich die Briten definitiv nicht für Noise zu schade, denn ein geschickter Umgang mit Distortion verdreht so ziemlich alles, was kein Schlagzeug ist, mindestens in etwas Monströses, wenn nicht sogar noch in etwas Schlimmeres. Was Soundästhetik angeht, so macht man hier also schon mal keine Gefangenen, zumindest macht man sich keine Freunde bei dem Wohlklang zugeneigten Hörern.
Die britischen Krachmacher JAAW sehen von euphonischen Liebeleien ab
Produktion ist natürlich nur eine Seite der Medaille, was macht also der Rest? „Supercluster“ ist vor allem durch seinen Sound und dem hohen Fokus auf Klangtexturen extrem sperrig und das, obwohl das Songwriting jetzt keine irren Hakenschläge vollführt. Wodurch sich die Platte zügig hervorhebt, ist ein generell sparsamer Umgang mit eingängigen Melodien. Der Hauptteil des Achteinhalbminüters „Bring Home The Motherlode, Barry“ beispielsweise ist in einem durchgehenden Akkord gehalten. Aber weil die Band ständig Spannung durch ihre Texturen aufbaut, erwartet man hinter jeder Ecke den Harmoniewechsel, der aber vergeblich auf sich warten lässt. Die Band wendet den alten Trick mit der an einem Stock gebundenen Karotte erfolgreich beim Hörer an und obwohl das auf dem Papier eigentlich zum Scheitern verurteilt scheint, geht die Rechnung voll auf und man ist als Hörer an die Boxen gefesselt.
Es gefällt prinzipiell alles, was irgendwie aggressiv oder düster klingt, wobei das Quartett dafür nicht notwendigerweise ruppig oder dissonant vorgeht. Gelegentliche Tritoni sowie der freizügige Einsatz von Synths und Pedals (u. a. HM-2, ENTOMBED lassen auf „Hellbent On Happiness“ besonders herzlich grüßen) helfen natürlich ungemein bei der Stimmungsmache, bestimmen aber nicht das Repertoire. Man bekommt tatsächlich das Gefühl, ein Album aus den Neunzigern zu hören, das jedoch mit einer modernen Sensibilität für Atmosphäre ausgestattet worden ist, bei dem Klangtexturen die Hauptrolle spielen und Hooks nicht gerade durch mitsingbare Refrains, sondern gern durch subtile aber bedeutungsvolle Variationen der dichten Wall of Sound in Erscheinung treten. Dazu kommen Vocals, die im Spektrum zwischen dem gehauchten Klagen eines Chino Moreno und den vulkanartigen Ausbrüchen eines Trent Reznor rangieren.
Stattdessen ist „Supercluster“ ein dichtes, sperriges Werk voller faszinierender Texturen geworden
Es ist ein bisschen schwer, das Faszinierende an „Supercluster“ genau zu erklären, zumal es ja eine Handvoll Tracks gibt, die klassische, einigermaßen gut greifbare Hooks ihr eigen nennen wie die beiden vorausgeschossenen Singles „Rot“ respektive „Total Protonic Reversal“. Prominent ist bei „Supercluster“ wie eingangs erwähnt vor allem die massive Verzerrung bei gleichbleibend knackiger, moderner Produktion, was teilweise fast schon klaustrophobische Vibes versprüht. Das Gesangsgespann Cairns/Adams versucht verzweifelt, dagegen anzusingen, droht gelegentlich sogar, darin unterzugehen. Letzteres hat man vor allem im krachenden Opener „Thoughts And Prayers (Mean Nothing)“. Gleichzeitig klingt es aber überraschend texturiert und detailverliebt, was sich jedoch erst nach und nach bei genauerem Hinhören herauskristallisiert. Es wirkt wie Industrial-/Noise-Alchemie, der Lärm eine Art hörbares Trompe-l’œil, weshalb das Coverartwork auch so hervorragend zu dieser Platte passt.
Bei allem Rumgedoktor mit Sounds und dergleichen bilden sich dennoch wiedererkennbare Motive innerhalb der Trackliste ab. „Thoughts And Prayers (Mean Nothing)“ eröffnet erwähnterweise mit ordentlich Dampf und „Hellbent On Happiness“ setzt mit seinem punkigen Elan noch einen drauf. Auf der anderen Seite des Härtespektrums zaubern JAAW mit „The Dead Drop“ einen Industrial-Hit der atmosphärischeren Art aus dem Hut, der zudem mit feinsinnigen Gitarrenarabesken und einer wahrhaft transzendentalen Hook aufwartet. Und in der Mitte tummeln sich dann die heavieren Stampfer wie „Reality Crash“, das genauso gut auch von einer B-Seite mittelspäter NINE INCH NAILS hätte stammen können. Und fast wie eine Paraphrase der frühen DEFTONES auf Noise Rock und mit einem Beat, der ein bisschen an „Closer“ denken lässt, kommt dann der Rausschmeißer „Army Of Me“ daher, um den Sack zu zu machen.
Nix für die Generation Spotify, aber ein Fressen für alle, die sich gern längerfristig mit Alben beschäftigen
Dieses Album ist echt nichts für Gelegenheitshörer. „Supercluster“ hat zweifelsfrei Hooks – sehr gute und effektive sogar. Aber der dichte, verzerrte Sound wird sicher eine ganze Menge potentieller Hörer, mindestens mal den durchschnittlichen Radio Bob-Rocker, abschrecken, zumal die Produktion ausgesprochen druckvoll und texturiert ist. Die Entscheidungen hinter der Klangästhetik haben also nichts mit einem Lo-Fi-Anspruch der Herren zu tun, stattdessen haben JAAW keine Kosten und Mühen gescheut, um so dreckig und fies, aber dennoch mächtig und voluminös zu klingen. Aber dass es ihnen eben gelungen ist, diesem Lärm doch so viele Details und Layer zu verleihen, dabei regelmäßig Druck und Spannung aufzubauen, ohne in allzu melodiöse Theatralik abzudriften, verdient Respekt und die Aufmerksamkeit all jener, die sich gerne längerfristig mit Platten beschäftigen.
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