Island - Island

Review

Ich bin wirklich froh, dass es die Zeitgeister gibt. Es gibt nicht viele musikalische Gruppierungen (ich benutze bewusst nicht den Terminus „Band“, da die Zeitgeister ja eine ganze Reihe unterschiedlich ausgerichteter Projekte betreiben), die in der Lage sind, im Jahr 2006 ein Album aufzunehmen, das erst 2010 erscheint, aber – aufgepasst! – dennoch frisch und im positiven Sinn „unerhört“ klingt.

Ich will mich nicht an den Hintergründen der vierjährigen Verzögerung des selbstbetitelten Debut-Albums von ISLAND aufhalten; was zählt, ist schließlich die Musik – und die hat es wirklich in sich. Mutig sind die, die sieben Songs auf „Island“ – mutig, weil sie Ansprüche an den Hörer stellen; mutig aber vor allem, weil sie scheinbar die weitestgehende Abkehr vom Stil „Orakel“s darstellen.

Werden wir konkreter: Das, was Florian Toyka und Christian Kolf in dieser knappen Stunde präsentieren, ist – rein technisch betrachtet – kaum metallisch im engeren Sinn. Gitarren stellen zwar das Fundament für das gesamte Album dar, verzerrt werden sie dagegen nur selten. Auch stimmlich findet man nur wenige Passagen, in denen der oftmals mehrstimmige klare Gesang zugunsten einigen Growls aufgegeben wird. Die Seltenheit dieser Ausbrüche verleiht ihnen zusätzliche Durchschlagskraft – zur reinen Kulisse werden die dominanten ruhigen Passagen jedoch mitnichten!

An mancher Stelle wurde „Island“ schon mit späten ANATHEMA oder OPETHs „Damnation“ verglichen – diese Nähe erkenne ich im Hinblick auf die Instrumentierung durchaus, die Atmosphäre der Songs spricht jedoch eine gänzlich andere Sprache. Und das ist auch gut so. ISLAND klingen fern, unwirklich – spontan fiel mir beim Anhören KLABAUTAMANNs „Merkur“ ein (was natürlich kein Wunder ist), welches ebenfalls diesen wohltuend entrückten Charakter besitzt, den ISLAND heraufbeschwören.

Beeindruckend ist dabei, dass es die beiden kreativen Köpfe auch mit ihrem vermeintlich reduzierten Ausdruck schaffen, Dynamik und Spannung zu erzeugen. Dem oberflächlichen Betrachter könnte „Island“ wie eine Aneinanderreihung clean gespielter Riffs erscheinen – erst bei eingehender Auseinandersetzung finden sich die harmonischen Schachzüge, die Toyka und Kolf verwenden, um dem Album eine anders geartete Dramaturgie zu verleihen. DAS ist es, was ich oben mit „mutig“ meinte.

Zu den beiden Hauptakteuren ISLANDs gesellen sich drei Gastmusiker, die ich auf keinen Fall unerwähnt lassen möchte: Rafael Calman leistet einen ganz großartigen Beitrag am Schlagzeug, mit dem er auf akzentuierte Weise die Dynamik der Gitarren unterstützt. Weiterhin findet sich ein Kontrabass auf „Island“, der von Jan Buckard gespielt wurde, aber unauffälliger als das nahezu omnipräsente Schlagzeug bleibt. Zu guter Letzt seien diverse Blechbläser genannt, die von Clemens Toyka eingespielt wurden: Diese Passagen verleihen den Stücken eine zusätzliche Dimension, die mir Gänsehaut beschert und „Island“ ganz in die Nähe der Höchstpunktzahl rückt.

Dass ich sie trotzdem nicht zücke, hat eigentlich nur zwei Gründe: Einerseits bin ich mir fast sicher, dass das Album noch ein bisschen mitreißender geworden wäre, wenn die Herren Zeitgeister sich entschieden hätten, ein wenig mit Effekten auf ihren Gitarren zu experimentieren. „Island“ klingt zwar sehr homogen, aber bleibt gerade hierdurch sperriger, als es nötig gewesen wäre. Der andere Kritikpunkt betrifft den klaren Gesang, der leider nicht immer hundertprozentig sitzt und auch in Sachen Ausdruckskraft noch Luft nach oben aufweist.

„Island“ ist ein nahezu perfektes Album, das Aufmerksamkeit erfordert, um sich komplett zu entfalten. Von mir aus können ISLAND den Verzerrer also auch weiterhin in Kurzarbeit schicken.

24.02.2010
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