Isis - Panopticon
Review
Die Kriegskasse hat einen spontanen Blindkauf erlaubt! Dass ich das noch erleben durfte, Weihnachtsgeld macht’s möglich. Beim Musiktonträgerhändler meiner Wahl war ich zunächst wie üblich über die magere Auswahl enttäuscht, bis die neue ISIS-CD für einen unverschämt hohen Preis meine Wege kreuzte. ISIS, sind das nicht die Typen auf dem Mike Patton-Label, die gerne mit NEUROSIS und CULT OF LUNA verglichen werden? Klar, und da mich das grandiose „The Eye Of Every Storm“ wieder mal auf den Noisecore(?)-Geschmack gebracht hatte, wurden zwei Ohren bei zunächst gedämpfter Lautstärke riskiert.
Boah, schreit der Sänger los, „So Did We“ wird einem gleich als Motto in die Fresse gehauen und die Lautstärke dezent angehoben. Dann geht’s mit sphärischem, halb progressiven Gitarrengeklimper weiter, bis ISIS den Weg zurück zu halbwegs konventionellen Strukturen finden und der Sänger mit klarem, aber dennoch angenehm rauen Gesang die Strophe intoniert. Sehr geil, Gänsehaut an der Hörtheke neben einem Kiddie mit der neuesten Jessica Simpson und einem Verwaltungsangestellten mit dem aktuellen Soul-R’n’B-Fickificki-Sampler kommt bei mir extrem selten vor, also Lautstärke weiter hoch. Was nun folgt, lässt sich bei aller Begriffsabnutzung nur noch als epische Klanglandschaft beschreiben: Verträumte Harmonien treffen auf turmhohe Gitarrenwände, bißchen wenig Gesang, aber trotz einer Länge von über 7 Minuten mehr als in Ordnung und in keiner Sekunde langweilig. So nervenschonend waren NEUROSIS selten. Dann „Backlit“: Wieder diese Mischung aus Harmonie und Brachialität, bis Sänger, Gitarrist und Bandkopf Aaron Turner mit einer überirdisch schönen Melodielinie einsetzt und plötzlich wieder alles in Grund und Boden grunzt/schreit. Toll. Der Sound verursacht auf beeindruckende Art und Weise ein Gefühl der Verlorenheit, einer Art Grenzenlosigkeit, was insbesondere durch den ähnlich wie bei KYUSS deutlich in den Hintergrund gemischten Gesang verursacht wird. Der Lautstärkenregler erreicht das obere Drittel, das akustische Hintergrundgeseier ist nicht mehr vernehmbar. Scheiße, auch wenn das Teil hier so teuer ist, ich muss das JETZT haben.
Und aus „jetzt“ ist mittlerweile eine ganze Woche geworden, ohne dass die CD meine Tchibo-Stereoanlage wieder verlassen hätte. Trotz eher unkonventioneller Songstrukturen bildet das beschriebene Wechselspiel von entspannten Klängen, Breitwandgitarren, Gesang und Geschrei die Konstante dieser Veröffentlichung, sodass selbst dem konzentrierten Hörer irgendwann das Gefühl für Dauer und Songwechsel abhanden gehen. „Panopticon“ ist eine Einheit, die Lieder sind fest miteinander verwoben. Gleiches gilt für das textliche Konzept, dass sich auf das Prinzip der permanenten Überwachung im Panoptikum bezieht (nähere Kurzauskunft bietet natürlich Wikipedia), in meinen Augen aber kaum gegen die Gewalt und Emotionalität der Musik ankommen kann. Auch wenn als Referenzen eben NEUROSIS und GODSPEED YOU BLACK EMPEROR! dienen können, ISIS aber auf Feedbackorgien und Streicher dankenswerterweise verzichten, erinnert mich die Atmosphäre auf „Panopticon“ mit seiner Intensität und seinem monumentalen Breitwandcharakter jedoch an ein anderes grandioses Meisterwerk, nämlich „Ocean Machine“ von Eurer Heiligkeit Devin Townsend. Und dieser Vergleich ist immer schmeichelhaft! Fazit: Wer mal wieder Musik sucht, um sich vollkommen darin zu verlieren, oder einen der aufgeführten Vergleiche zu schätzen weiß, MUSS hier eigentlich zugreifen.